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Hausbesitz das bürgerliche Braurecht hing, das die Schwur-
gemeinschaft der Bürger – die Kommune – in den kommu-
nitären Brauhäusern ausübte und das Hausbier daheim aus-
schenkte.
Der »Rote Ochse«
ist als Fachwerkhaus mit seinem Aus-
leger an der Ecke Flenderstraße/Maximiliansplatz kaum zu
übersehen. Das Renaissanceportal unter dem historischen
Ochsenrelief verweist ins 16. Jahrhundert, die Entstehungs-
zeit des Baudenkmals mit quirligem Leben, bestens geeignet
für den Besuch mit Kindern: vor allem im Sommer, wenn
im lauschigen Hof ausgeschenkt wird, wo die Kinder so
intensiv mit der begehbaren Holzburg spielen, dass sie nach
der elterlichen Zeche schwer loszueisen sind.
Kaum hat er Platz genommen, wird der Gast von Karl Franz –
als Wirt über der Jeans standesgemäß mit Leder beschürzt –
mit: »Hausbier?« nach demGetränkewunsch befragt. – Eins
des süffigen Kommun-Biers geht immer. Die passende »Un-
terlage« aus der fränkischen Küche – zeitgemäß auch im
kalorienbewussten Non-Carb-Format etwa als »Schnitzel
natur« oder »Diäthaxe« nur mit Salat zu genießen – und
die kurzweilige Gemütlichkeit lassen den Blutalkohol hof-
fentlich auf verkehrsrechtlich unbedenkliches Niveau sinken.
Auch die Brotzeitspalte
der umfangreichen, künst-
lerisch gestalteten Speisekarte bietet wahre Köstlichkeiten:
beispielsweise den »weißen Käs mit Zwiebeln und Bratkar-
toffeln«, eine Art sämig-körniger Frischkäse – wegen seiner
früheren Verwendung als eiweißreiches Kükenfutter auch
»Ziberleskäs« genannt – mit wunderbaren Bratkartoffeln.
Saisonspezifisch verwöhnt Frau Franz – Wirtsfrau und
Küchenchefin – die Gäste mit passenden Zutaten, deren Rei-
gen im Frühling mit dem Bärlauch aus den umliegenden
Wäldern beginnt. Im Sommer folgen Spargel und Pilze. Hei-
misches Wild, vom Senior und seinem Jagdfreund erlegt,
schließt das Spezialitäten-Jahr ab und grüßt als Dermoplas
tik von den Wänden an Garderobe und Stammtisch.
Auch die Kinder kommen auf ihre Kosten: Wenn sie – wie
jetzt im Winter – nicht draußen spielen können, stehen auf
denWand- und Fensterbänken Bücher für Jung und Alt: Lese-
förderung der pragmatischen Art. So wird die Zeit nicht lang,
bis die bestellte »Saure Muhhh« (Sauerbraten mit Thüringer
Kloß), die »Schlammschlacht« (Rahmschnitzel mit Pommes
frites) oder der »Schwan im Teich« (Kloß mit Soß) auf den
Tisch kommen. Und zumNachtisch ein »Apfelkräpfla im Ein-
zelzimmer« (gebackene Apfelscheibe auf Vanilleeis)? Oder –
wohl gesättigt und nachdem die Kinder überzeugt wurden,
aviso 2 | 2015
Böhmen und Bayern
aviso einkehr
EINKEHR
D i e s c h ö n s t e n d e n k m a l g e -
schützten Wirtshäuser und Gast-
höfe in Bayern sind (noch) nicht
so be k ann t w i e v i e l e unser er
Schlösser, Burgen und Kirchen.
Das muss sich ändern! In »
aviso
Einkehr« stellen wir Ihnen des-
halb die schönsten kulinarisch-
bavarischenMusentempel vor: alle
respek table und authent i sche
Zeugnisse unserer reichen Bau-
kultur und: In allen kann man her-
vorragend essen, in manchen auch
übernachten.
Wegbeschreibung
:
Seßlach liegt im Dreieck der Bundesstraßen B 279,
B 303 und B 4, von denen aus unser Ziel über
die Ausfahrten Pfarrweisach (B 279), Dietersdorf/
Seßlach bzw. Witzmannsberg (B 303) oder Kalten-
brunn (B 4) erreicht wird.
Autoparkplätze am Seßlacher Altstadtrand für’s
Wochenende ohne Torschluss-Panik bestehen
an der Coburger Straße (am Feuerwehrhaus) und
am Juliusweg (an der Rodach).
Landgasthof »Roter Ochse«
Inhaber: Karl Franz
Maximiliansplatz 95 | 96145 Seßlach
Telefon +49 (0) 9569.1220
Telefax +49 (0) 9569.1510
Buch, Dreirad oder Burg zu verlassen – es bietet
sich der Fußweg um Stadtgraben und Mauerring
als Verdauungsrunde an. Ausdauernde Wanderer
können auch den östlich der Stadt gelegenen Bür-
gerwald erkunden: noch heute Quelle von Bau- und
Brennholz sowie des Wildes aus der Ochsen-Küche.
Wer genügend Zeit,
Muße und Neugier auf
weitere Köstlichkeiten mitgebracht hat, der schläft
in einem der Einzel-, Doppelzimmer oder Apart-
ments im Gasthof oder in der nahen Badstuben-
gasse, genießt nach dem Frühstück die vielfältige
Kultur in Seßlachs Stadt und Landschaft und ver-
gisst auch nicht die wiederholte kulinarische Ent-
deckungsreise in der noch lange nicht ausgeschöpf-
ten Speisekarte des Roten Ochsen.
oben
links
Stimmung im Biergarten-Hof.
daneben
Karl Franz, der Wirt, mit Köstlichkeiten aus der Küche
seiner Frau.
daneben
»Schwan im Teich«, eines der beliebten Kinder-Gerichte.
unten links
»Roter Ochse« mit dem Rothenberger Tor.
daneben
Kommunbrauhaus Seßlach: Quelle des süffigen Hausbiers.
Dr. Hubertus Habel
ist Kultur- und Museums-
wissenschaftler in Bamberg.
Fotos: C. Franz | Hubertus Habel