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für das eigene Land bedeutet, verbunden
mit einem Bedürfnis, die Grenzgebiete
neu zu entdecken, letztendlich auch: neu
zu beleben.
Bereits 1995 startete
eine Gruppe
tschechischer Intellektueller eine Peti
tion mit dem Titel
Smirˇení ’95 / Versöh-
nung ’95
, in der für einen Dialog mit den
Sudetendeutschen geworben wurde –
ein Vorschlag, der damals in der tsche-
chischen Öffentlichkeit auf viel Ableh-
nung stieß. Zu einer Zeit, als ich der
Sudetendeutschen Landsmannschaft,
imUnterschied zu Ackermann-Gemein-
de, Adalbert Stifter Verein oder Seliger-
Gemeinde noch distanziert gegenüber-
stand, waren es die Tschechen, die mich
mit meiner sudetendeutschen Herkunft
in Berührung brachten, ähnlich wie der
ehemalige Leiter des Tschechischen Zen-
trums in München es wohl umgekehrt
empfand, als er bekannte: »Mir fehlen
unsere Sudetendeutschen!« Es ist schön,
mit Hilfe von Landsleuten sowohl deut-
scher als auch tschechischer Zunge die
eigenen Wurzeln in einem Kulturraum
wiederzuentdecken, der jahrhunderte-
lang von zwei Sprachen und kulturellen
Traditionen geprägt war.
Dieses gemeinsame Leben war bereits
durch die nationalistischen Bestrebun-
gen des 19. Jahrhunderts empfindlich
gestört worden; eine Entwicklung, die
sich durch die Abtrennung der Tsche-
choslowakei nach demEnde der k.-u.-k.-
Monarchie nach dem Ersten Weltkrieg
weiter verschärfte, bis zur Eingliederung
der Sudetengebiete in das 3. Reich 1938
nach dem Münchner Abkommen und
die Besetzung der von den Nationalsozia-
listen als »Rest-Tschechei« bezeichneten
Tschechoslowakei. Nach dem Ende des
Zweiten Weltkriegs und des National
sozialismus driftete nach der Vertreibung
der deutschsprachigen Bevölkerung aus
den seit Jahrhunderten gemeinsam be-
siedelten Grenzgebieten, und der Tren-
nung durch den Eisernen Vorhang, die
Entwicklung immer weiter auseinander.
Der Riss in der gemeinsamen Geschichte
zeichnete sich immer deutlicher ab.
Verständnislos standen sich Sudeten-
deutsche und Tschechen oft gegenüber,
unfähig zu begreifen, was der andere
durchlebt hat, was ihn schmerzt, was
ihmwichtig ist. Die falschen Vorstellungen wurden
für mich besonders deutlich, als 1995 eine junge
Tschechin auf einer Party äußerte: »Du bist Su-
detendeutsche? Ja, dann fließt ja blaues Blut in
deinen Adern!« Die kommunistischen Märchen
von den reichen und natürlich adeligen deutschen
Großgrundbesitzern lassen grüßen!
Fünfzig Jahre sind
kein Pappenstiel, das wurde
auch bei der Rundfunkarbeit deutlich. Vor Beginn
der Internet-Zeit recherchierten wir Redakteure
unsere Informationen in einem Archiv, dessen
Bestände ausgeschnittene Zeitungsartikel aus der
Rudé Právo und andere ideologisch gleichgeschal-
tete Zeitschriften der kommunistischen Ära bilde-
ten. Argwohn gegenüber den Deutschen lag in der
Luft; bei Diskussionen über die NS-Zeit wurde
über die Verbrechen der Deutschen gesprochen, als
gelte es, mich aufzuklären. Dass dieses Thema in
Deutschland auf den Lehrplänen steht, war unbe-
kannt. Mitunter wirkte es, als sei der Zweite Welt-
krieg erst kurz zuvor zu Ende gegangen, als seien
nicht 50 Jahre ins Land gegangen.
Wie erstaunlich waren dann Begegnungen wie die
mit dem Ehepaar in Lipka/Freyung bei Vimperk/
Winterberg im Böhmerwald, das eine kleine Pen
sion betrieb und diese zu Ehren der früheren deut-
schen Eigentümer »PensionWeber« genannt hatte.
Das ganze verfallene Dorf planten sie wiederauf-
zubauen und neu zu bevölkern, selbstverständ-
lich mit tschechischen und deutschen Einwohnern
gleichermaßen.
Und dann war
da die noch sehr junge Frau, die
sich 1999 mit einer selbst gestalteten und selbst
erarbeiteten Ausstellung über die deutsche Bevöl-
kerung in der Gegend von Teplitz an einem Projekt-
wettbewerb beteiligte. Anlass für ihre Forschungen
war gewesen, dass ihr mitten imWaldMauerreste,
Treppenstufen und Brunneneinfassungen aufgefal-
len waren, die ihr in dieser Umgebung unerklärlich
waren. Ohne Berührungsängste hatte sie sich an die
Sudetendeutsche Landsmannschaft um Informatio-
nen gewandt und aus den erhaltenen Dokumenten
und Berichten ihre Ausstellung zusammengestellt,
für die sie dann den ersten Preis erhielt.
Eine Landschaft voller Bedeutung
Auf ähnliche Weise, aber in viel breiterem Rah-
men ging die 1998 gegründete Studenteninitiative
bung der Deutschen« als das »dramatischste sozio-
demografische Ereignis« der neueren tschechischen
Geschichte bewertet. Eine Ausstellung mit dem
oben
Grabfoto vom rekonstruierten Friedhof in
Neugebäu/Nový Svet bei Ferchenhaid/Borová
Lada (Südböhmen in der Nähe von Winter-
berg/Vimperk). 1976/77 wurde der 1888 ein-
geweihte Friedhof eingeebnet. Die Grabdenk-
mäler mit Kreuzen wurden vergraben. Im Jahre
2008 wurde auf Initiative sowie mit finanziel-
lem Aufwand der Gemeinde Borová Lada/
Ferchenhaid und der deutschen
Landsleute aus der ehemaligen Gemeinde der
Friedhof neugestaltet. Die Arbeiten unter-
stützten der Deutsch-Tschechische Zukunfts-
fonds und das Programm der Grenzüber-
schreitenden Zusammenarbeit Ziel 3, Freistaat
Bayern-Tschechische Republik 2007-2013
sowie private Sponsoren. An der Stelle der
1976 abgerissenen St. Martins-Kirche wurde
2010 ein Denkmal errichtet.
aviso 2 | 2015
Böhmen und Bayern
Resultate
Foto Rekonstruktion Friedhof in Schemmel: www.facebook.com/VsemilskyHrbitovDerFriedhofInSchemmel | Foto Friedhof Neugebäu: Carsten Fastner | Foto Denkmal Kirche Neugebäu: Elisabeth Donoughue