aviso - Zeitschrift für Wissenschaft und Kunst in Bayern - page 49

aviso 2 | 2015
Böhmen und Bayern
Resultate
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erwähnt….« Eines Tages bat mich dieser junge Mann, ihm behilflich zu
sein, weil er den Sudetendeutschen Tag besuchen wolle, um seine deut-
schen Landsleute kennen zu lernen; bis heute kommt er jährlich zum
Sudetendeutschen Pfingsttreffen. Er ist nicht der einzige.
All diese Beispiele
geben einen Eindruck davon, dass es für viele
Tschechen notwendig geworden ist, sich mit der Geschichte ihrer ver-
triebenen Landsleute auseinanderzusetzen, die sie auch als ihre eigene
Geschichte ansehen. Viele Vertriebene erleben die Gebärden der Zuwen-
dung als heilsam und sogar als Wiedergutmachung jenseits materieller
Aspekte. Wenn – das gilt für alle Seiten – endlich der Trauer über das
Verlorene Raum gegeben wird, besteht, wie der Diplomat Tomáš Kafka
einmal sagte, Hoffnung, dass die alten Kulturlandschaften der Grenz-
gebiete »mit ihrer historischen Identität nicht nur nicht verloren« sind,
»sondern auch eine gute Zukunft haben« können.
Anna Knechtel M. A.
, Slawistin, war 1995 – 2001 als Redakteurin bei
Radio Prag und als Fachreferentin beim Deutsch-Tschechischen Zu-
kunftsfonds in Prag tätig. Heute ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin
des
Adalbert Stifter Verein
s in München, der sich, verbunden mit
einem laufenden Kulturprogramm, für die Erforschung der deutsch-
böhmischen Kulturgeschichte und den deutsch-tschechischen Kultur-
austausch engagie
rt.
ne umfängliche und zweisprachige Website
ür den Einstieg in die Thematik besonders aussa-
gekräftig.
oben
Typische Gegenüberstellung von Fotos aus der
Publikation »Das verschwundene Sudetenland (Zmizelé
Sudety)« der Bürgerinitiative Antikomplex von 2004,
hier von der Ortschaft Buchwald/Bucˇina 1946-2003, im
heutigen Nationalpark Šumava/Böhmerwald.
oben
Einzelbild aus der Graphic Novel »Alois Nebel«
von Jaroslav Rudiš und Jaromir 99. Ein Fahrdienstleister in
einem kleinen Bahnhof an der tschechoslowakisch-
polnischen Grenze in den 1980er Jahren wird verfolgt von
alptraumhaften Erinnerungen an die Juden-Transporte
in die KZs, die Vertreibung der deutschsprachigen Bewoh-
ner, die sowjetische Besatzung.
trag eines jungen Mannes, der seine Trauer zum
Ausdruck brachte, dass die Menschen in Städten
wie Karlsbad, Marienbad oder Eger zu ihren Orten
»eigentlich gar keine Beziehung haben. Als sei die
Geschichte irgendwann ausgelöscht und von neuem
geschrieben, bzw. umgeschrieben worden. Was mir
noch trauriger vorkommt, ist, dass – manchmal
unbewusst, manchmal bewusst – in Geschichts-
büchern oder -broschüren aus der Feder tschechi-
scher Autoren die Vergangenheit unseres Landes
und unserer Region verschwiegen wird. In allen
Gegenden vermeidet man es, bedeutende Deutsche,
die hier lebten, zu erwähnen, und die Vertreibung
der Deutschen, die doch die tiefgreifendste Ve
r-
änderung in der Geschichte vieler Städte seit ihre
r
Gründung bewirkt hat, wird oft überhaupt nicht
Fotos: Buchwald aus »Das Verschwundene Sudetenland«, Hg. Bürgerinitiative Antikomplex, 2004 | Foto »Blasmusik – Dechovka«: Anna Knechtel | Einzelbild aus der Graphic Novel „Alois Nebel“ mit freundlicher Genehmigung von Voland&Quist.
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