aviso 2 | 2015
Böhmen und Bayern
Colloquium
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schene Asche geblasen. Die Landschaft denkt dennoch
in ihren gewohnten Bahnen. Kann nicht aufhören, sich zu
erinnern.
Jemand hat mir erzählt, dass das Wild auch heute noch hin-
ter demEisernen Vorhang lebt. Zu Zeiten des Kalten Krieges
haben die Rudel der Hirsche und Rehe ihre Trassen gewech-
selt. Sie mieden den Grenzstreifen wegen der Drahtverhaue
und des elektrischen Stroms. Dieses Wissen wanderte von
Generation zu Generation und die Tiere auf beiden Seiten
richten sich noch immer nach der Barriere zwischen Ost und
West. Sie leben noch immer im Krieg.
Ausflug
Auf dem Hof des Konzentrationslagers Flossenbürg stehen
Grüppchen von Gymnasiasten. Schminke, flimmernde Dis-
plays, schwarzgefärbte Haare, Kniekehlen. Lange Mädchen-
beine in viel zu kurzen Shorts, hie und da Sommersprossen.
Ein Junge kickt einen Stein, ein anderer schiebt seine Sonnen-
brille ins Haar wie ein Stirnband. Die Führerin versucht das
schwere Gerät zu überschreien, eine Baggerschaufel schürft
über Kies, die Maschinen errichten einen weiteren Teil des
Denkmals für die Ermordeten. Weiter hinten, dort, wo die
Baracken der Aufseher waren, stehen heute Einfamilienhäu-
ser. Einige Schüler setzen sich in den Schatten, die Mittags-
sonne ist lohweiß, sie hat den ganzen Himmel und die Flä-
che des Hofes gebleicht. Winzige Schweißtröpfchen auf der
Oberlippe, das Klickern zweier Metallreifen, als ein Arm sich
hebt, um Augen zu beschatten. Halbzeit der Exkursion, die
Schüler haben ein weiteres Areal vor sich, hinter sich haben
sie die Besichtigung der Duschen.
Christian Schloyer
nachnutzungskonzept
hörst du die teller? klappern & die würste
hängen abgebrüht in reih + glied hier fiel
besteck zu boden & der abwasch
wurde hier verrichtet
da wischte drüber schnell der mopp
dort standen tisch + theke
körper siehst du keine
blau + krumm gehaun + häupter
wie vieh geschoren, da brüllt
niemand vom dampfstrahl getroffen
hirschgulasch gab‘s + schnitzel
für den herrn der längst wieder
mensch & für die dame
des vorzimmers ein blatt
salat vor dem mund, kollegen
geplänkel + bückling für den chef
geschundene knochen + eitrige
wunden suchst du vergebens, nirgends
vom leib gerissene fetzen nicht
laus nicht kot + kein erbrochnes blut
schlussstriche
bücher schlagen wir auf & lernen
geschichte · ist lang
schon gegessen
· ein brei aus geronnener milch
grau wie erinnern
schwarzfahrt ins
jenseits · der eigenen biografie
sind wir umnachtet
wir irren · umgeben von leben + von
den toten + totgemachten
warn wir schon da?
als es uns gar noch nicht gab · trugen wir weltmeistersterne
wir meister aus deutschland · exportieren den tod
wir ahnen · geschichte ist nicht beliebig aber
wiederholbar · unter anderen vorzeichen
Marek Šindelka
, geboren 1984 in Policˇka (Region Pardubice),
schreibt und veröffentlicht Lyrik und Prosa. Zuletzt erschien
sein Erzählband »Zu˚stanˇte s námi« (»Bleiben Sie dran!«), für
den er den Magnesia Litera Preis für Prosa gewann. In der
Zeitschrift »die horen« Nr. 245 (2012) erschien sein Prosatext
»Der Bogen«. Er lebt in Prag.
Christian Schloyer
, geboren 1976 in Erlangen, lebt heute in
Nürnberg. 2007 erschien sein erster Lyrikband »spiel •
ur • meere«, 2012 folgte der Band »panik • blüten«. 2007
erhielt er den renommierten Leonce- und-Lena-Preis
für Lyrik. 2013 wurde er mit dem Bayerischen Kunstförder-
preis für Literatur ausgezeichnet.
© KZ-Gedenkstätte Flossenbürg
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Das Außengelände der KZ-Gedenkstätte
Flossenbürg: Lange Zeit herrschte der Eindruck vor, das Lager wäre
abseits der Ortschaft im Wald gelegen, heute sind die Grundrisse
der Häftlingsbarracken wieder freigelegt und zeigen die unmittelbare
Nähe zur nach 1945 errichteten Siedlung.