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aviso 2 | 2015
Böhmen und Bayern
Colloquium
Im Jahr 2016
jährt sich zum 700sten Mal der Geburtstag
eines der schillerndsten spätmittelalterlichen Herrschers
Europas: Karl IV. (1316 – 1378) aus dem Geschlecht der
Luxemburger. Als König von Böhmen und Nachfolger des Wit-
telsbachers Ludwigs des Bayern auf demKaiserthron prägte
er die Geschichte Böhmens, Bayerns und des Heiligen Römi-
schen Reichs in vielerlei Hinsicht. Dies gilt insbesondere auch
für das heutige Nordbayern und die Stadt Nürnberg, die für
Karl nach Prag zur wichtigsten Residenzstadt avancierte. Mit
dem sogenannten Neuböhmen – in zeitgenössischen Quel-
len mitunter als des »Kaisers Land zu Bayern« bezeichnet –
entstand eine Art westliches Vorland der böhmischen Krone,
das sich mit seinen Hauptorten Sulzbach und Auerbach von
Tachau, heute Tachov, bis Lauf bei Nürnberg erstreckte. Das
netzartige Wegesystem der Goldenen Straße, die Nürnberg
mit Eger, heute Cheb, Pilsen und Prag verband, erlebte unter
Karl IV. eine ihrer Blütezeiten und wurde zu einer der wich-
tigsten Ost-West-Handelsverbindungen des Spätmittelalters.
Sein Name ist aber auch mit einem der wirkungsmächtigsten
Verfassungsdokumente der deutschen Geschichte verknüpft:
der Goldenen Bulle von 1356, deren erster Teil in Nürnberg
erlassen wurde. Die Bulla aurea regelte die Wahl des deutschen
Königs und sollte immerhin 450 Jahre lang ihre Gültigkeit
behalten. Karl IV. steht darüber hinaus für die Entfaltung
einer Hochblüte der Kultur, die prägend für die nächsten
Jahrzehnte wurde und Prag zu einem Zentrum der Kunst
werden ließ. In Nürnberg legt unter anderem die zu dieser
Zeit errichtete Frauenkirche davon Zeugnis ab. Andererseits
muss aber auch die Rolle beleuchtet werden, die der Kaiser
bei den Judenpogromen jener Zeit in Deutschland spielte –
ein Land das im 14. Jahrhundert von Pestwellen, Hochwas-
serkatastrophen und Missernten erschüttert wurde.
Angesichts der vielen
auf Karl IV. basierenden his-
torischen Verbindungen zwischen Bayern und Böhmen ist
eine gemeinsame Bayerisch-Tschechische Landesausstellung
zu seiner Biografie und seiner Zeit eine ganz besondere Her­
Goldene Straße, Neuböhmen,
Goldene Bulle, Nürnberg und Prag -
eine Bayerisch-Tschechische Landesausstellung
für Kaiser Karl IV.
Text:
Rainhard Riepertinger
ausforderung mit eigenem Reiz. Es geht um nichts weniger
als um eine kritische und spannungsreiche Neuinterpreta­
tion dieser vielschichtigen Herrscherpersönlichkeit in ihrem
kulturhistorischen Kontext. Ferner dreht sich die Ausstel-
lung auch um die Nachwirkungen, Deutungen und Verein-
nahmungen, die bei einer Bewertung Karls IV. zu erläutern
sind. Genauso spannend und vielschichtig wie die Landes-
ausstellung wird das Rahmenprogramm, das eine kulturelle
Brückenfunktion zwischen beiden Ländern einnehmen soll.
Die Besichtigung des Wenzelsschlosses in Lauf mit seinem
berühmten Wappensaal aus dem Jahr 1360 dürfte nur einer
der Höhepunkte dieses Begleitprogramms werden.
Zahlreiche einmalige
Ausstellungsstücke stammen
aus den Museen Europas und der Welt. Eine derartige
Zusammenstellung hochkarätiger Exponate wird es für viele
Jahre zu diesem Thema wohl nicht wieder geben. Das Haus
der Bayerischen Geschichte, die Nationalgalerie Prag und
das Germanische Nationalmuseum sind die Veranstalter
dieses Vorhabens, das vom Freistaat Bayern und der Tsche-
chischen Republik initiiert wurde und die guten Beziehun-
gen zwischen beiden Ländern unterstreicht. Einen Impuls in
diese Richtung lieferte vor knapp zehn Jahren die Bayerische
Landesausstellung »Bayern – Böhmen: 1500 Jahre Nachbar-
schaft« in Zwiesel. Damals, 2007, spielte Karl IV. nur eine
kleinere Rolle in der Themenabteilung Mittelalter. Diesmal,
2016/2017, steht er im Fokus.
Dr. Rainhard Riepertinger
studierte in München Neuere
Geschichte und ist seit 1985 im Ausstellungs- und Museums-
wesen tätig. Von 1996-2001 leitete er die Museen der
Stadt Kempten (Allgäu). Seit 2001 arbeitet er am Haus der
Bayerischen Geschichte, dessen stellvertretender Direk-
tor er seit 2008 ist.
Die
Bayerische Landesausstellung »Kaiser Karl IV.«
wird
vom 20. Oktober 2016 bis 5. März 2017 im Germanischen
Nationalmuseum in Nürnberg gezeigt. Vorher ist sie
vom 14. Mai 2016 bis 25. September 2016 in Prag in der
Wallenstein-Reitschule zu sehen.
© Jan Gloc | Radovan Bocˇek | Jan Rendek
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