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aviso 2 | 2015
Böhmen und Bayern
Colloquium
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München spielte seit
der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts
im tschechischen künstlerischen und kulturellen Leben
immer wieder eine besondere Rolle. Zuerst machten sich
die böhmischen und mährischen Künstler auf den Weg
in die bayerische Metropole, die sich damals zu einem der
führenden Zentren der bildenden Kunst entwickelte, unter
ihnen der Fotograf František Drtikol und die Maler Gabriel
von Max, Alfons Mucha oder Jakub Schikaneder. Der wech-
selseitige Austausch über die bayerisch-böhmische Grenze
dauerte bis zum Ende des 1. Weltkriegs an.
Der Sender Radio Free Europe
In die tschechische Kulturgeschichte schrieb sich München
erneut in einer völlig neuen Situation nach dem 2. Weltkrieg
ein. Der Grund dafür war diesmal nicht sein Ruhm – als Ort
des Münchner Abkommens 1938 hatte die Stadt ja gerade für
Tschechen einen besonders negativen Stellenwert –, sondern
seine geografische Lage, die Nähe zum Eisernen Vorhang. Vor
allemwurde im Jahr 1951 hier der amerikanische Radiosender
Radio Free Europe (RFE) stationiert mit der Absicht, unzen-
sierte Informationen und ideologiefreie Kulturprogramme
in die Länder des Ostblocks zu senden. An den Vorbereitun-
Mníšek pod Alpou.
1
Tschechische Künstler in München
Text:
Zuzana Jürgens
gen beteiligten sich intensiv Vertreter des tschechoslowaki-
schen Exils: Auch deshalb war es die tschechoslowakische
Redaktion, die als erste am 1. Mai 1951 den regulären Sen-
debetrieb aufnahm. Noch im selben Jahr bezog RFE das Ge-
bäude in der Oettingenstraße 67 am Englischen Garten. Von
dort aus ging der Sender erst 1994 aus München nach Prag.
Von Beginn an
arbeiteten im RFE Exilanten, die meis-
tens direkt nach dem kommunistischen Umsturz 1948 aus
der Tschechoslowakei geflohen waren und die in der Regel
bereits vorher als Akteure des kulturellen Lebens öffentlich
bekannt und tätig gewesen waren. Die Anstellung bei RFE –
oder zumindest die regelmäßigen Honorare für ihre Bei-
träge – lohnte sich für sie im doppelten Sinne: Zum einen
war damit ihre Existenz gesichert, zum anderen konnten sie
ihre Arbeit fortsetzen, ohne dabei die Sprache wechseln zu
müssen. Die Nähe zur tschechischen Grenze, eine ähnliche
Lebensweise wie auch die später blühende kulturelle Szene
zog aber nicht nur künftige RFE-Mitarbeiter nach München.
1
Mnischek unter der Alpe. Auch wenn München auf
Tschechisch Mnichov heißt, führte der Liedermacher Karel Kryl
für die Stadt diese familiäre Bezeichnung ein, die an eine
Kleinstadt namens Mníšek pod Brdy nahe Prag erinnert.
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