aviso - Zeitschrift für Wissenschaft und Kunst in Bayern - page 25

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Aus der sogenannten
ersten Exilwelle kam nach Mün-
chen z. B. der Schriftsteller und Übersetzer Jan Cˇ ep (1902–
1974), der hier in den Jahren 1951–1955 lebte und danach
seine wöchentlichen Essays ans RFE aus Paris schickte.
Peter Demetz (*1922), Literaturwissenschaftler, Essayist und
Übersetzer, arbeitete nur kurz, von 1950 bis 1952 in der Kul-
turredaktion, dafür aber mit entscheidender Wirkung auf die
Formate der Sendung; anschließend baute er seine wissen-
schaftliche Karriere in den USA auf. Bis zu seinem Tod lebte
in München Julius Firt (1897–1979), in den Jahren 1955–
1965 Leiter der tschechoslowakischen Redaktion. Er stand
dem Kreis um den Präsidenten Masaryk nahe und war als
Verleger und Politiker aktiv.
Noch aus der Prager Zeit war mit Julius Firt Miloš Ha-
vel (1899–1968) befreundet, Onkel von Václav Havel und
in der Zwischenkriegszeit einer der größten Filmprodu-
zenten Tschechiens. Nach dem 2. Weltkrieg wurde er we-
gen Kollaboration mit den Nazis angeklagt: Obwohl die
Anschuldigung nicht bewiesen werden konnte, verlor er
praktisch seinen gesamten Besitz. 1952 floh er nach Mün-
chen und versuchte hier vergeblich an seine erfolgreichen
Jahre anzuknüpfen. Eine Rückkehr zum Film misslang
ebenso wie seine gastronomischen Aktivitäten: 1961–1962
war er Mitbesitzer des tschechischen Restaurants »Gol-
dene Stadt« am Oberanger 44, 1963 eröffnete er das
Lokal »Zur Stadt Prag« in Schwabing, das allerdings
1967 Pleite machte. Er starb als verschuldeter Blumenladen-
besitzer.
Ein besonderes Phänomen
– und ein anschauliches
Beispiel eines erfolgreichen tschechischen Künstlers im Exil –
stellt das Wirken des Dirigenten und Komponisten Rafael
Kubelík (1914–1996) dar. Bereits im Sommer 1948 nach
England emigriert, hatte er eine Reihe erfolgreicher Enga-
gements, das längste von 1961 bis 1979 als Chefdirigent des
Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks in Mün-
chen. Trotz dieser langjährigen Wirkung zog er nie aus der
Schweiz weg – in München war er im Hotel Continental in
der Max-Joseph-Straße 5 zu Hause. Seiner Heimat blieb
er immer verbunden: Er verfolgte aufmerksam die dortige
politische Lage, war zu Gast bei RFE und führte regelmäßig
Werke tschechischer Komponisten wie Smetana, Janácˇek
oder Dvorˇák auf. Eine Rückkehr war für ihn unvorstellbar,
solange nicht jeder Exilant frei nach Tschechien reisen – und
wieder ausreisen konnte.
von links
Fotografie des Fotokünstlers František Drtikol, »Vlna«
(auf Deutsch: »Düstere Welle«), 1926, Pigment Druck, 19,8 x 29,6 cm.
Der Schriftsteller Milos Havel (1940), Foto von Karl Ludwig.
In der Oettingenstraße 67 in München war die Redaktion
des Radio Freien Europa untergebracht. Heute befindet sich hier
das Institut für Informatik der Ludwig-Maximilians-Universität München.
© Mit freundlicher Genehmigung des Umeˇleckopruºmyslové museum v Praze inv.no. GF40804, Copyright Miroslav Hrabeta | Foto von Karl Ludwig/Ausschnitt des Buchumschlags »Miloš Havel - Cˇ eský filmový magnát«
©Václav Havel Bibliothek/Karel Ludwig | RFE Archiv, Foto: Rozina Jadrná
aviso 2 | 2015
Böhmen und Bayern
Colloquium
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