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aviso 2 | 2015
Böhmen und Bayern
Colloquium
links
Jaroslav Hašek, porträtiert vom
Illustrator Josef Lada.
Jaroslav Hašek
,
(1883 – 1923) war u. a.
Mitbegründer der Partei des maßvollen
Fortschritts in den Grenzen der Gesetze, die 1911
die Wahlmethoden und Phrasen der damaligen
Vorkriegsparteien satirisch kommentierte. In
seinen Reden im Prager Lokal »Kravin« (Kuhstall)
forderte er im Namen seiner Partei u. a.
die Wiedereinführung der Sklaverei, die Verstaat-
lichung der Hausmeister und versprach den Wäh-
lern der Partei ein Taschenaquarium. Als Redakteur
verhalf er der Zeitschrift »Sveˇt zvírˇat« (Welt der
Tiere) zu kurzer Berühmtheit, indem er Artikel über
erfundene Tiere veröffentlichte. Die spektakuläre
Entdeckung eines Flohs aus der Urzeit beispielswei-
se sorgte für großes Aufsehen in der Fachwelt –
Hašek korrespondierte mit Zoologen aus aller Welt.
Er schreckte auch nicht vor der Schilderung
von sich bis zur Bewusstlosigkeit betrinkenden
Papageien zurück und gab Tipps zur Zucht von Wer-
wölfen. Nachdem er diese Stelle hatte aufgeben
müssen, da das Ansehen der Zeitschrift nach-
haltig geschädigt war, betrieb er einen Hundehandel,
indem er gestohlene Hunde mit eigenhändig
gefälschten Stammbäumen verkaufte.
Vor allem aber wurde Hašek durch seine litera-
rische Figur des »braven Soldaten Schwejk«
berühmt. Mehr dazu auf S. 22.
verkünden, und Sie werden sie verbüßen,
allerdings unter Anrechnung der Untersu-
chungshaft auf die ausgeworfene Strafe.«
Nach dieser vielversprechenden Einleitung
vernahm er mich, erkannte alles an, und als
ich sagte, dass ich inDillingenGeld hätte, regte
er sich sehr über meine Unvorsichtigkeit auf,
dass ich mir das Geld nicht nach Höchstädt
hätte schicken lassen. Er dürfe nicht an das
Postamt in Dillingen telegrafieren, ob dort wirk-
lich das Geld sei. Das dürfe er nicht und werde
er nicht, weil der Paragraph eins des Gesetzes über
Landstreicherei, dessentwegen ich eingesperrt sei
und vernommen würde, besage, dass ein Vagabund
jeder sei, der nicht einheimisch sei, in Bayern keinen fes-
ten Wohnsitz habe und bei Ergreifung keinen Betrag von
3Mark aufweisen könne. Wenn so jemand 2Mark und 99 Pfen-
nige bei sich hätte, würde er auch eingesperrt. Darauf also, wie man
sehen könne, käme es an, und er könne dagegen gar nichts unterneh-
men. Gesetz sei Gesetz. Er glaube mir, dass ich Geld in Dillingen hätte,
er könne aber nicht anders.
So blieb ich also in Höchstädt an der Donau stecken. Eineinhalb
Monate saß ich im Gefängnis und ging abends mit dem Herrn «
Amts-
richter
« in die Brauerei.
Ich aß Geselchtes mit Kraut und Knödeln und unternahm am vorletz-
ten Sonntag mit dem Kerkermeister und seiner Familie einen Ausflug.
Ich hätte tausende Male fliehen können, wollte die Leute aber nicht in
Verlegenheit bringen.
Endlich, anderthalb Monate später, als ich zugenommen und den Ker-
kermeister darum gebeten hatte, mir nicht mehr so viel Fleisch und Bier
zu geben, kam die Entscheidung des Kreisgerichts in Dillingen, wonach
ich zu einer Gefängnisstrafe von drei Tagen wegen Verstoßes gegen den
Paragraphen eins des Gesetzes über Landstreicherei verurteilt wurde.
Weil ich aber 45 Tage in Untersuchungshaft verbracht hatte, die auf die
Haftstrafe angerechnet würden, blieben 42 Tage übrig, für die ich gemäß
der bayerischen Gerichtsordnung eine Entschädigung von 1 Mark und
20 Pfennige pro Tag erhielt, insgesamt also 50 Mark und 40 Pfennig.
Als der Herr »
Amtsrichter
« mir diese ausbezahlte, weinte er vor Rüh-
rung und begleitete mich zusammen mit dem Kerkermeister und sei-
ner ganzen Familie bis eine halbe Stunde vor die Stadt.
Solcher Art ist die Rechtspflege in Bayern.