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Rechtspflege in Bayern
Text:
Jaroslav Hašek
aviso 2 | 2015
Böhmen und Bayern
Colloquium
Ich erinnere mich daran, als wäre es heute gewesen. Ich verließ an einem wunder-
schönen Augustmorgen Höchstädt an der Donau in Bayern und hatte 8 Pfennige
in der Tasche. Vor mir zog sich die Straße, über die angeblich der heilige Adal-
bert
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aus Regensburg nach Aachen gegangen war. Dieser Umstand konnte mir
allerdings überhaupt nicht helfen, und aus den 8 Pfennigen wurde auch bei dem
Gedanken daran keine Mark.
Aber vor mir zog sich die Straße an der Donau entlang und in der Ferne umrahm-
ten niedrige Hügel die fruchtbare Ebene des lieblichen Schwaben
2
.
Etwas erstarrt blickte ich auf all diese Dinge. Dort hinter den Hügeln liegt an
der Donau die Stadt Dillingen
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, wo auf der Post sicher schon drei Tage auf mich
50 Mark warteten, ich hingegen, anstatt mich zu beeilen, genoss das zufriedene
Leben, zog durch Brauereien, aß das berühmte Selchfleisch mit Knödeln und Kraut,
hatte mich in drei Dörfern an fünf
»Raufereien«
beteiligt, und saß nun hier an
einem kleinen Kirchlein mit den letzten 8 Pfennigen, einem eingerissenen Ohr
und blickte auf all die Schönheit ringsumher.
Mir gegenüber trat aus einem Garten ein bayerischer Gendarm von gutmütigem
Äußeren, ohne Gewehr, so wie die bayerischen Gendarmen durch die Gegend zu
gehen pflegen, und sagte leutselig: »Wohin denn, junger Freund?« »Nach Dillin-
gen« »Das sind dreißig Kilometer!« »Fünfunddreißig!« sagte ich. »Und wohin
dann?« »Nach Ulm!« »Und von Ulm aus?« »Nach Lindau in der Schweiz
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.« »Nun,
könnte ich Sie um ihre Ausweise bitten – viel Gesindel zieht heute durch Bayern!«
Ich erläuterte ihm meine Ausweise, den Heimatschein meiner Gemeinde und
ungefähr drei verschiedene Legitimationen. Er setzte sich nebenmich und erzählte,
dass sein Onkel auch mal in Cham
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gewesen sei, ganz nah bei Böhmen, und der sei
einmal zu Fuß mit einer Wallfahrt von Bayern auf den Heiligen Berg bei Prˇíbram
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gelaufen. Der Gendarm sprach sanft darüber, dass die Tschechen eine wunderbare
Jungfrau Maria hätten, es aber eine Menge Geld koste, von hier aus Schwaben bis
nach Böhmen zu wallfahren, weil ja jeder Mensch unterwegs etwas esse und trin-
ke, wo doch das Bier jetzt um zwei Pfennig die Maß teurer geworden sei. – Ob ich
denn irgendwelches Geld hätte? Aufrichtig sagte ich ihm, dass ich 8 Pfennige hätte,
in Dillingen hingegen hätte ich auf der Post seit bestimmt drei Tagen 50Mark und
ginge deshalb nach Dillingen, um das Geld abzuheben. Der Gendarm erhob sich:
1
Adalbert, tschechisch Vojteˇch, Bischof
von Prag und Magdeburg (957-997),
bedeutender böhmischer Heiliger und
Slawenapostel, nahm 992 an einer
Kirchensynode in Aachen teil.
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Gemeint ist Bayrisch-Schwaben.
3
Dillingen an der Donau, Kreisstadt im
bayerischen Bezirk Schwaben.
4
Lindau am Bodensee liegt an der Grenze
zur Schweiz, nicht aber in der Schweiz.
5
Stadt in der bayerischen Oberpfalz.
6
Prˇíbram, Stadt in Mittelböhmen, mit
dem bedeutenden barocken Wallfahrts-
ort Heiliger Berg, tschechisch Svatá
Hora.
oben
Buchtitel, gestaltet von Josef Lada.
Illustrationen von Josef Lada auf S. 2, 18 und 23 mit freundlicher Genehmigung von Martin Lada © Josef Lada www.joseflada.cz/de/