aviso - Zeitschrift für Wissenschaft und Kunst in Bayern - page 22

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aviso 2 | 2015
Böhmen und Bayern
Colloquium
Jaroslav Hašek ist als Autor der »Abenteuer des guten Sol-
daten Švejk« weltbekannt. Über sein kurzes wie ungewöhn-
liches Leben ist zumindest in Deutschland aber nur wenig
bekannt. Es würde zu weit führen, dieses Leben hier darzu-
stellen. ImHinblick auf diese Ausgabe von aviso, die sich mit
den bayerisch-tschechischen Beziehungen beschäftigt, lohnt
es sich aber zu erwähnen, dass Hašek zu Bayern ein sehr po-
sitives Verhältnis hatte.
In seinen frühen Jahren zwischen 1901 bis 1914 war Hasek
viel in Europa unterwegs. Zu Fuß wanderte er fast ohne Geld
durch weite Teile der österreichisch-ungarischenMonarchie,
so durch Ungarn, die Slowakei und Galizien. Er wanderte aber
auch durch Deutschland. Mehrere Male war er auch in Bay-
ern. Er erwähnt die Oberpfalz, Franken, wo er bei der Hop-
fenernte arbeitete, und mehrfach auch Bayerisch-Schwaben,
wo er sich an der Donau herumtrieb. Hašek hat über seine
Aufenthalte in Bayern mehrere Kurzgeschichten geschrieben,
die nicht alle ins Deutsche übersetzt sind.
Eine Auswahl der Kurzgeschichten von Jaroslav Hašek er-
scheint imHerbst 2015 unter demTitel »Die Ausrottung der
Praktikanten der Speditionsfirma Kobkán« in neuer Über-
setzung voraussichtlich imHerbst 2015 beimReclamVerlag.
In der hier als Vorabdruck vorgelegten Kurzgeschichte »Baye-
rische Rechtspflege« beschreibt er seine Verhaftung als Land-
streicher in Dillingen an der Donau. Auffällig ist die sehr lie-
bevolle Schilderung der Zustände in Bayern und ihrer Justiz,
wie sie für Hašek untypisch ist, da er auf seinen Reisen die
Zustände meist scharf kritisierte und an fremden Völkern sel-
ten ein gutes Haar ließ. Zu Hause in Prag hat Hašek mehrfach
seine gute Behandlung als Landstreicher durch die bayerische
Gendarmerie gelobt. Auch über die Menschen in Bayern hat
er sich positiv geäußert. Offenbar hat es Hašek in Bayern gut
gefallen, insbesondere das viele Bier und das gute Essen, was
für ihn eminent wichtig war.
Hašeks Vorliebe für Bayern ist aber für Böhmen nicht un-
typisch. Das hat sicherlich historische, aber auch kulturelle
Gründe. Auch ohne nähere Kenntnis fühlte man sich den
Bayern irgendwie nahe. Das zeigt sich beispielsweise daran,
dass schon im 19. Jahrhundert beim tschechischen Fasching
(masopust) neben den klassischen Figuren des Wassermanns
mit grünen Haaren, des Bärenführers mit Bären, des Juden
mit großer Nase auch die Figur des Bayern mit Bart und
dickem Bauch bekannt war.
Diese Verbundenheit ist auch heute noch zu beobachten, wie
man an folgender Anekdote sehen kann: Ich habe ein Bauern-
haus in Südböhmen, ca. eine Autostunde von Budweis ent-
fernt. Regelmäßig gehe ich in meine urige, typisch südböhmi-
sche Dorfgastwirtschaft »UKolísku˚« in Dolní Žd’ár (deutsch
Niedermühl), in der abends von den Einheimischen gerne ge-
sungen wird. Jeder schlägt ein Lied vor, dann wird gemein-
sam gesungen. Vor einiger Zeit hatte ich eines Abends einen
Freund aus Berlin mitgebracht, den ich schon seit Schulzei-
ten kenne. Er ist ein großer Anhänger südböhmischen Bieres,
nicht aber des Gesanges. Auch er wurde aufgefordert, für alle
ein deutsches Lied zu singen. Er ließ mich übersetzen, dass
man in Berlin keine Lieder singen würde. Daraufhin antwor-
teten die einheimischen Gäste treuherzig, er solle doch ein
bayerisches Lied singen, da die Bayern doch so schöne Lie-
der kennen würden. Mein Freund wandte sich, empört wie
selten, an mich mit den Worten: »Was denken sich denn die-
se Dorftrottel, woher sollte ich als Berliner denn bayerische
Lieder singen können!«
Zu bayerischem Gesang kam es an diesem Abend also nicht,
dafür aber zu weiterem tschechischen. Schade, dass nicht auch
Bayern an diesem Abend in der Gastwirtschaft »U Kolísku˚«
waren. Man hätte die bayerisch-tschechische Nähe lauthals
feiern können.
Antonín Brousek
wurde 1962 in Prag als Sohn des gleich­
namigen tschechischen Lyrikers geboren.
Nach dem Prager Frühling kam er 1969 mit seinen Eltern nach
Deutschland. Er wuchs in Berlin auf, studierte Klassische
Philologie, dann Rechtswissenschaften in Regensburg und
Berlin. Nach seinem Referendariat trat er in den Justizdienst
des Landes Berlin ein. Er ist seit über 20 Jahren Amts-
richter beim Amtsgericht Schöneberg. 2014 erschien bei
Reclam seine vielbeachtete Neuübersetzung der »Aben-
teuer des guten Soldaten Švejk im Weltkrieg«. Es ist die erste
moderne deutsche Übersetzung dieses zentralen Werks
der tschechischen Literatur seit der altbekannten Überset-
zung von Grete Reiner im Jahre 1926. Die Abenteuer des
Soldaten Švejk im Ersten Weltkrieg (1883–1923), geschrieben
in den Jahren 1921–1923 von dem Prager Anarchisten
und Freigeist Jaroslav Hašek, wurden bis heute in 58 Spra-
chen übersetzt, vielfach verfilmt und auf der Bühne auf-
geführt. Der Roman gilt heute als Symbol des Widerstands der
einfachen Menschen gegen blinde Gehorsamkeit und unsinnige
Hierarchien: »Ein witzigeres, respektloseres, schwärze-
res, subversiveres Buch über den Ersten Weltkrieg gibt es
sicher nicht«, schrieb Christoph Bartmann (Süddeutsche
Zeitung 11.3.2014) über den Roman. Brousek hat auch Jaros-
lav Hašeks Erzählung »Rechtspflege in Bayern« übersetzt,
die mit freundlicher Genehmigung des Reclam Verlags erst-
mals als Vorabdruck in deutscher Übersetzung in aviso
erscheint. Der Erzählungsband wird unter dem Titel »Die Aus-
rottung der Praktikanten der Speditionsfirma Kobkán«
voraussichtlich im Herbst 2015 bei Reclam erscheinen. Übri-
gens: Die kursiv gesetzten Texttteile in der Erzählung sind
im Original auf Deutsch.
Anmerkungen des Übersetzers
Antonín Brousek
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