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aviso 2 | 2015
Böhmen und Bayern
Colloquium
Text:
Marcus Rudolf Axt
Am 20. März 2016
werden es 70 Jahre, dass das
Bamberger Tonkünstlerorchester sein erstes öffent-
liches Konzert gab; ein Ensemble, das sich wenig
später »Bamberger Symphoniker« nennt, in der
Nachkriegszeit einen rasanten Start in die Spit-
zenliga der deutschen Orchester hinlegt und sich
seit 2003 mit dem Prädikat »Bayerische Staats-
philharmonie« schmücken darf. 1950 wird Joseph
Keilberth Chefdirigent und fährt mit »seinen Bam-
bergern« in den folgenden Jahren in aller Herren
Länder, als Kulturbotschafter der neuen deutschen
Bundesrepublik. Kurz zuvor, im September 1948,
schreibt Hans Knappertsbusch demOrchester ins
Stammbuch: »Für mich gehören die Bamberger
Symphoniker heute unter die führendsten Orches
ter nicht nur Deutschlands, sondern ganz Europas«.
Doch woher rührt diese Qualität aus einer kleinen
fränkischen Stadt, die zwar vor rund 1000 Jahren
einmal der Nabel der Welt war, als Hauptstadt des
Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation,
die aber nie vorher durch eine große Musiktra-
dition aufgefallen war? Was hat es mit dem viel
beschworenen »böhmischen Klang« der Bamber-
ger auf sich? Pensionierte Musiker erzählen von
Keilberths Wirken beim Deutschen Philharmo-
nischen Orchester in Prag, aber auch von dem Ge-
rücht, dass dieses Orchester bereits unter Mozart in
Prag den »Don Giovanni« uraufgeführt haben soll…
Grund genug für
mich, direkt nach meiner
Berufung als Intendant in die Vorgeschichte die-
ses Klangkörpers einzutauchen. Zwei Auslöser
waren es vor allem, die mich dabei neugierig mach-
ten. Der erste ist ein Bericht aus der WELT zum
50jährigen Bestehen, vom 8. März 1996 mit dem
Titel »Die Lebenslüge eines Orchesters«. Dort
schreibt der Autor über die Mär von der böh-
mischen Vergangenheit, die angeblich von den
Musikern dazu benutzt wurde, um sich als Flücht-
lingsorchester in der Nachkriegszeit materielle Vor-
teile zu verschaffen, und um unter Vorspiegelung
einer großen Tradition nicht als Neugründung zu
erscheinen. Der zweite Auslöser war für mich die
Frage nach der NS-Vergangenheit von Joseph Keil-
berth und demOrchester, die heute noch, vor allem
im anglophonen Raum, bei Verhandlungen über
Gastspiele und Tourneen der Bamberger Sympho-
niker gestellt wird – befruchtet durch die offensive
und transparente Auseinandersetzung der Berli-
ner Philharmoniker mit ihrer Geschichte (»Das
Reichsorchester« als Buch und Film) und die ähn-
lich gelagerten Diskussionen bei den Wiener Phil-
harmonikern.
Also auch in
Bamberg – ein Orchester unter
NS-Verdacht? Oder eine Neugründung von ver-
streuten böhmischen und sudetendeutschen Musi
kern, die sich durch Zufall in Bamberg getroffen
haben? Nur – kann ein Orchester dieser Quali-
tät, dieser Singularität auch in der Klangtradition
durch zufälliges Aufeinandertreffen von Musikern
entstehen, oder haben sich hier nicht doch Keil-
berths alte Prager Philharmoniker unter neuem
Namen wiedergefunden? Die politische Festigung
der guten Beziehungen zwischen dem Freistaat
Bayern und der Tschechischen Republik in den letz-
ten Jahren gibt uns heute die Chance, den Spuren
nachzugehen, die noch in Prager Archiven zu fin-
den sind. Eine spannende Indiziensuche hat hier
begonnen, die wir zum 70jährigen Jubiläum im
nächsten März abschließen wollen.
Eine spannende Indiziensuche
Dass wir nicht die einzigen sind, die sich für die
spannende Geschichte der Bamberger Symphoni-
ker interessieren, wurde uns bald bewusst: Ein Pro-
duzent des tschechischen Fernsehens wandte sich
an uns mit der Frage, ob wir nicht an einer Doku-
B
öhmen
an
der
R
egnitz
Eine Spurensuche in die Vergangenheit der Bamberger Symphoniker