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aviso 2 | 2015
Böhmen und Bayern
Colloquium
Text:
Erhard Špacˇek
Peter Alexander hat
sie in den 60er Jahren
nostalgisch besungen, die »Powdiltatschkerln aus
der schönen Tschechoslowakei«, denn »ein Tatsch
kerl, so ein powidales, das ist doch wirklich etwas
Pyramidonales!« Das Lied hat mancher vielleicht
noch im Ohr. Komponiert hat es schon 1937 der
österreichische Kabarettist Hermann Leopoldi auf
einen Text von Rudolf Skutajan (dem Duo verdan-
ken wir auch das unvergessliche »Schnucki, ach
Schnucki«). In meinem Rezept schreibe ich die
Tascherln sicherheitshalber ohne das böhmakelnde
T in der Mitte, auch wenn in der Powidltatschkerl-
Fachliteratur ja zuweilen eine Verwandtschaft mit
dem bayerischen Datschi vermutet wird.
1
Es han-
delt sich ja zweifelsfrei um Kartoffelteigtaschen.
Mancher betrachtet die Tascherln, die unbe-
dingt mit selbergemachtem Powidl gefüllt sein
müssen, als Königin der Mehlspeisen in jener
legendären böhmischen Küche. Als das Lied kom-
poniert wurde, war Böhmen bereits zur Tsche-
choslowakei geworden, aber die Powidltascherln
tauchen schon im 1826 erschienenen Standard-
werk zur altböhmischen Kochkunst mit dem
Titel »Domácí kucharˇka« (auf Deutsch: »Haus-
köchin«) der Schriftstellerin Magdaléna Dobro-
mila Rettigová auf. Die böhmische Küche ist die
alte, reichhaltige, rustikale Küche der k. u. k.-Mo-
narchie, fest verankert in der Wiener Küche, in
der kulinarische Traditionen der böhmischen, un-
garischen, slowenischen und anderen Länder des
ehemaligen Kaiserreichs auf ’s Prächtigste har-
monisch verschmelzen. Die böhmische Küche ist
die mit Abstand am meisten geschätzte und ein-
flussreichste in diesem kulinarischen Reigen. Es
war ein Muss für die adeligen und gutbürgerlichen
Haushalte der k. u. k.-Monarchie, eine böhmische
Köchin (oder einen Koch) zu beschäftigen. Damals
wie heute gilt das gute Essen als Statussymbol,
auch wenn sich die Maßstäbe dafür, was als gutes
Essen gilt, verschoben haben.
Nicht ganz zu Unrecht hat man der böhmischen
Küche nachgesagt, dass sie zu schwer und fett-
haltig sei und nicht mehr in unsere heutige Zeit
passe. Sie ist daher leider etwas aus der Mode
gekommen, dies aber ganz und gar zu Unrecht:
Die böhmische Küche ist vor allem zeitaufwändig
und sie gelingt überhaupt nur mit erstklassigen
Zutaten. Sie hat viel mehr zu bieten als die allbe-
kannten böhmischen (Servietten-)Knödel: Wild-
gerichte, Geflügel, Süßwasserfisch, und eben die
berühmten Mehlspeisen, die Nachspeisen und das
Gebäck. Man kann die böhmische Küche bis zu
einem gewissen Grad der heutigen Zeit anpassen
und ein bisserl leichter kochen. Also: An manchen
Stellen geht es schon mit weniger Butterschmalz,
Sahne und Einbrennsaucen! Aber einen guten
Schweinsbraten, ein G’selchtes, Ente, Gans und
Rinderschmorbraten kann man halt nicht nur mit
Wasser zubereiten.
Nach dem Zweiten
Weltkrieg ist die böh-
mische Küche durch die vertriebenen Sudetendeut-
schen und in den 50er Jahren durch Flüchtlinge
aus dem Kommunistischen Regime der dama-
ligen Tschechoslowakei in Bayern – und in ganz
Deutschland – verbreitet worden. In Bayern ist da-
her die böhmische Küche heute recht gut beheima-
Eine Hymne auf
owidale
yramidonal