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Dr. Thomas Müller
, Oberstleutnant d. Res.,
promovierte 1998 mit einer Biografie zu Konrad
Krafft von Dellmensingen, dem ersten »Führer
des Deutschen Alpenkorps«. Von 2000 bis 2006
war er Leiter des Waffenmuseums Suhl in
Thüringen, anschließend (bis 2008) Hörsaalleiter an
der Sanitätsakademie der Bundeswehr in
München. Seit 2008 ist er als Wissenschaftlicher
Angestellter am Bayerischen Armeemuseum in
Ingolstadt tätig, »nebenberuflich« als Inspektions-
chef und Lehrstabsoffizier für Militärgeschichte an
der Sanitätsakademie der Bundeswehr.
Kompagnie Nr. 1« auf, die sich an demam21. November 1914 in
München aufgestellten k. b. Schneeschuhbataillon Nr. 1 orien
tieren sollte. Als mit dem Ende des Winters über die Frage zu
entscheiden war, was mit den Schneeschuhtruppen gesche-
hen sollte, stimmte das Münchner Kriegsministerium einem
Antrag des Kommandeurs des Schneeschuhbataillons Nr. 1,
Major Steinitzer, den Verband bestehen zu lassen, zu. Oben-
drein verfügte die bayerische Armee mit der für die Vogesen-
front aufgestellten k. b. 8. Reserve-Division, die wegen ihrer
speziellen Ausrüstung als »Gebirgstruppe« galt, verfügte
bereits zumindest ansatzweise über eine Gebirgsdivision, und
mit der Aufstellung weiterer gebirgskampftauglicher Infan-
terie- und Artillerietruppenteile und der Schaffung einer
Ersatzstruktur entstand dann tatsächlich die erste »deut-
sche« Gebirgstruppe – gerade noch rechtzeitig, um angesichts
der neuen politischen Lage – Italien und Österreich-Ungarn
befanden sich seit dem 23. Mai 1915 im Krieg – als »Korsett-
stange« für die gefährlich ausgedünnten k. u. k. Kräfte an
der neuen Front in die Dolomiten verlegt werden zu können
(jedoch nicht die k. b. 8. Reserve-Division).
Ohne die bayerische Militärführung daran zu beteiligen
(warum auch?) waren der deutsche und der österreichisch-
ungarische Generalstabschef, von Falkenhayn und Conrad,
übereingekommen, die Italien-Front mit deutschen Kräften
zu stabilisieren. Geführt werden sollte die als »Deutsches Al-
penkorps« bezeichnete verstärkte Division von Konrad Krafft
von Dellmensingen, dem bayerischen Generalstabschef. Er
war das Bauernopfer im Streit zwischen der OHL und dem
Kronprinzen Rupprecht, demOberbefehlshaber der 6. Armee,
über die Fortsetzung des Krieges. Der als »Trostpflaster«
zum Generalleutnant beförderte Krafft fühlte sich mit der
neuen Verwendung in Südtirol »abgeschoben«, »degra-
diert« vomGeneralstabschef der königlich bayerischen Armee
zu einem »schnöden« Divisionskommandeur.
InLechfeld undBrixen, demHauptquartier der Division, wurde
in den nächsten Wochen v. a. aus bayerischen, württember-
gischen und preußischen Verbänden die »Alpenkorps-Divi-
sion«, wie man den Großverband zur Unterscheidung von
einem »echten« Armeekorps öfters bezeichnete, formiert.
Da sich die italienische Armee in den folgenden Monaten
zum Glück für das Alpenkorps mit größeren Offensiven sehr
zurückhielt, nutzte Krafft die Zeit, neue Gliederungsformen
und Taktiken zu erproben. Das Alpenkorps war in seiner Süd-
tiroler Zeit bis Anfang Oktober 1915 deshalb mehr eine Lehr-
und Versuchstruppe denn eine kriegstaugliche Elitedivision.
Dazu wurde das Alpenkorps erst später, in Serbien, vor Ver-
dun (wo es – als Gebirgsdivision in der Schlamm- und Gra-
benwüste der Westfront vollkommen fehl am Platz! – hor-
rende Verluste erlitt), in Serbien, in der 12. Isonzo-Schlacht
(wo es durchs Friaul bis zum Piave stürmte), am Kemmel-
Berg. Kurz vor Toresschluss noch einmal auf den Balkan ver-
legt, erlebte das Alpenkorps, mittlerweile unter der Führung
Ritter von Tutschecks, das Kriegsende. Der noch voll unter
Waffen stehende Großverband gelangte über das
inzwischen nicht gerade wohlgesonnene Ungarn
nach Bayern zurück, wo es demobilisiert wurde.
Der Reichswehr waren u. a. auch Gebirgstruppen
verboten, aber auch hier wusste man die Versailler
Vertragsklauseln schöpferisch zu interpretieren.
Nach der Machtübertragung durch Hindenburg
an Hitler wurden auch wieder Gebirgsdivisionen
aufgestellt. ImZweitenWeltkrieg waren der Angriff
auf Norwegen (Stichwort »Narvik«), Griechenland
und Kreta, dann die militärisch zwar sinnlose (was
sogar Hitler monierte), alpinistisch aber heraus-
ragende Besteigung des Elbrus im Kaukasus die
bekanntesten und prägenden Einsätze deutscher
Gebirgsjäger. Deren Generäle Dietl und Kübler wur-
den zu regelrechtenMedienstars. Die Soldaten mit
demEdelweißabzeichen auf der rechten Oberärmel
und auf der linken Bergmützenseite – ursprüng-
lich ein Geschenk der Österreicher an ihre Kame-
raden aus Deutschland im Sommer 1915 – fühl-
ten sich nicht nur als eine Elitetruppe, sie waren
es auch. Auch die Waffen-SS stellte eigene Gebirgs-
verbände auf. Nicht unter den Tisch fallen dürfen
aber auch nicht die dunklen Seiten der Geschichte
der deutschen Gebirgstruppe in diesem Krieg:
Geiselerschießungen im Zuge von Partisanenein-
sätzen in Italien und auf dem Balkan oder gar die
Tötung italienischer Kriegsgefangener nach dem
Seitenwechsel Italiens im Jahre 1943 – Kefalonia
ist ein trauriger Tiefpunkt.
Auch die Bundeswehr stellte mit der 1. Gebirgs
division wieder einen Gebirgsgroßverband auf.
Im Zuge der Reduzierung der Bundeswehr nach
dem Ende des Kalten Krieges blieb von den drei
Gebirgsjägerbrigaden lediglich die Gebirgsjäger
brigade 23 in Bad Reichenhall übrig. Heute ste-
hen deutsche Gebirgsjäger als leichte Infanterie in
den Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Und sie
haben auch wieder Gefallene zu beklagen. Es wer-
den wohl nicht die letzten toten deutschen Gebirgs-
soldaten sein.
aviso 3 | 2014
Bayern-Südtirol
Colloquium