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aviso 3 | 2014
Bayern-Südtirol
Colloquium
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Dr. Richard Loibl
ist Direktor des Hauses der Bayerischen Geschichte.
Die Bayerische Landesausstellung 2014
»Ludwig der Bayer.
Wir sind Kaiser!«
in Regensburg ist noch bis zum 2. November zu sehen.
Kaiser Ludwig IV., auch »der Bayer« genannt, der im Jahr 1314 als
erster Wittelsbacher den Kaiserthron bestieg, stieß bedeutsame Refor-
men an, stärkte das bayerische Herzogtum und führte einen jahrzehnte­
langen Konflikt mit dem Papsttum in Avignon. Mit Hilfe modernster
Museumstechnik, aufwändigen Rekonstruktionen und wertvollen Original­
objekten in der Minoritenkirche, der Kirche St. Ulrich am Dom und
im Kreuzgang des Regensburger Domes erhalten die Besucherinnen und
Besucher tiefen Einblick in die Regentschaft des bayerischen Herzogs,
des deutschen Königs und römischen Kaisers.
Zum Weiterlesen
für diejenigen, die sich vertiefter für stammesinterne Diskussionen
vorbereiten möchten, empfiehlt Herr Dr. Loibl neben dem
Besuch der Landesausstellung die Lektüre vonPeter Wolf u.a. (Hg.),
Ludwig der Bayer: »Wir sind Kaiser!« (Katalog zur Bayerischen
Landesausstellung 2014) Augsburg 2014.
Alois Niederstätter, »Die Herrschaft Österreich. Fürst und Land im
späten Mittelalter«, (Österreichische Geschichte 1278-1411), Wien 2001.
Sebastian Hölzl, »Der Freiheitsbrief von 1342«, in:
»Klischees im Tiroler Geschichtsbewusstsein«, Innsbruck 1996, 17-37.
unserer Bayerischen Landesausstellung »Ludwig
der Bayer: Wir sind Kaiser!« präsentieren. Es ist
der Tiroler Freiheitsbrief, in Anspielung auf die
berühmte englische »Verfassung« von 1215 auch als
Magna Charta Tirols und sogar als ältestes Zeugnis
(europäischer) Festlandsdemokratie bezeichnet.
Diese Bewertung geschah vor dem Hintergrund
der politischen Teilung Tirols 1919. Aber selbst
noch 1961 zeigte der Tiroler Landeshauptmann-
Stellvertreter den Freiheitsbrief im Landtag den
Abgeordneten stolz vor – als Zeugnis Tiroler
Freiheitsstrebens und Tiroler Landesbewusstseins
angesichts der unfreiwilligen Spaltung.
Geschrieben wurde der
Freiheitsbrief 1342 –
nicht in Innsbruck, nicht inMeran und auch nicht
in Bozen, sondern – in München. Und es kommt
noch schlimmer bzw. aus bayerischer Perspektive
schöner: Der Fürst, der den Tirolern die Freiheiten
gewährte, war ein Bayer. Von wegen Knechtung der
Tiroler, zuerst einmal brauchte es uns Bayern für
die Freiheit! Wenn das kein Argument ist.
Um Sie, liebe Leserinnen und Leser, für die mög­
licherweise vertiefende Diskussion zur rüsten,
erzähle ich Ihnen noch die Geschichte zum
Freiheitsbrief. Und die geht so: Kaiser des Heiligen
Römischen Reiches Deutscher Nation war zu dieser
Zeit der schon erwähnte Ludwig der Bayer aus dem
bayerischen Herzogsgeschlecht der Wittelsbacher.
Er betriebHausmachtpolitik und verschaffte seinem
gleichnamigen Sohn die Mark Brandenburg. Dem
hat es dort, wen wundert’s, nicht so recht gefallen
und er wollte wieder in den Süden.
Begehrt, gehasst, verunglimpft:
Margarete Maultasch
In Tirol aber herrschte Johann Heinrich von
Luxemburg, verheiratet mit der Tiroler Grafen­
tochter Margarete (viel später bösartigerweise
»Maultasch« genannt). Sie war mit ihremGemahl
unzufrieden und beschuldigte ihn der Impotenz.
1341 sperrte sie ihn kurzerhand aus der Burg
Tirol aus. Der gewitzte Kaiser aus Bayern hatte
dabei wohl schon seine Finger im Spiel und den
passenden Hochzeiter zur Hand: seinen Sohn
Markgraf Ludwig von Brandenburg. Die Ehe
wurde geschlossen und vollzogen – gegen den
Einspruch des Papstes, der wegen der nichterfolgten
Scheidung der ersten Ehe nicht ganz zu Unrecht das
Interdikt über das junge Paar und seine Untertanen
verhängte. In Bayern sah man das gelassen, weil sich
selbst die Älteren kaum noch an Zeiten erinnerten,
in denen die Bayern wegen ihres exkommunizierten
Kaisers nicht imKirchenbann gestanden waren. Den meisten mächtigen
Tirolern scheinen ebenso wie den bayerischen Kollegen ihre weltlichen
Privilegien wichtiger gewesen zu sein. Ludwig der Brandenburger wurde
als neuer Herr Tirols an der Seite von Margarete akzeptiert, nachdem
er den Tiroler Freiheitsbrief 1342 erlassen hatte.
Freiheit für »alle leut«?
Als man im Tirol des 20. Jahrhunderts diesen Freiheitsbrief wieder
entdeckte, störte es nicht, dass ihn ein Bayer in München erlassen hat-
te. Vermutlich weil man annahm, dass die Tiroler selbst den Text dem
bayerisch-brandenburgischen Fürsten respektive seinen »Beamten« in
die Feder diktiert hätten. Dann fand man auch noch, dass sich Ludwig
in der Anrede an alle Tiroler wandte, die edlen und die unedlen, die
armen und die reichen. Die älteste Festlandsdemokratie war scheinbar
entdeckt. Dabei übersah man aber, dass es ein anderes Herzogtum gab,
das größte Erfahrung mit der Ausgabe von Freiheitsbriefen besaß (42
waren es bis zum Ende des Mittelalters): Bayern mit seinen Wittelsba-
cher Herzögen, die – beständig in Geldnot und auf der Suche nach neuen
Einnahmequellen – notgedrungen Freiheiten »gegen Bares« gewährten –
z. B. in der Ottonischen Handfeste von 1311, auch gerne als (nieder-)
bayerische Magna Charta bezeichnet. Hier scheinen ganz ähnliche Frei-
heiten auf wie später im Tiroler Fall. Und die ausstellenden Herzöge,
allen voran Herzog Otto von Niederbayern, der auch noch König von
Ungarn war, wandte sich generös an »alle leut«.
Nichts ist es
also mit der ältesten Festlandsdemokratie in Tirol. Gebührt
dieser Titel vielmehr den (Nieder)bayern? Über diese Frage empfehle
ich Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, in der Diskussion mit Tirolern
oder sonst wem besser denMantel des Schweigens zu breiten. Denn die
bayerische Ansprache an alle Leut war genauso übertrieben wie die Tiroler
Adresse an die Armen und Reichen. Gemeint haben die Wittelsbacher –
ob 1311 für Niederbayern oder 1342 für Tirol – nur den Adel und die
Kirche. In der Übertreibung sind wir dann aber wieder beieinander –
die Tiroler und die Altbayern, die halt doch einem Stamm angehören,
über alle Streitfragen und sogar den Andreas Hofer hinweg. Und beim
Tiroler Wein löst sich dann sowieso jeder Disput in Wohlgefallen auf.
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