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Gut 100 Jahre zogen wieder durchs Land, bis Tirol erneut zum
Kriegsschauplatz wurde – Stichwort »Andreas Hofer, 1809«.
Übereifrige, gegenüber der Tiroler Volksseele, Mentalität und
Tradition völlig verständnislose, von ihrer Mission der Moder-
nisierung aber zutiefst überzeugte bayerische Beamte wollten
das ihrerMeinung nach rückständige Land »auf Vordermann«
bringen. Ihr unsensibles, bisweilen rigides Vorgehen, zudem
eine Vervielfachung der Steuerlast, brachten 1809 das Fass
des Unmutes über die neuen Herren zum Überlaufen. Alles
Weitere ist hinlänglich bekannt. Der Volksaufstand mit dem
Charakter eines fanatisch-religiös unterfütterten Partisanen-
krieges war indes kein »Gebirgskrieg« sui generis. Die Kampf-
handlungen fanden zwar überwiegend im Gebirge statt, weil
Tirol nun einmal in den Alpen liegt, aber wesentliche Ele-
mente eines »richtigen« Krieges fehlten eben, unter anderem
das Aufeinanderprallen regulärer Armeen oder die bewusste
Miteinbeziehung des Raumes als Operationsgebiet im Rah-
men einer Gesamtstrategie. Die ISAF (International Security
Assistance Force)-Soldaten der Deutschen Bundeswehr in
Afghanistan erleben Ähnliches.
ImAllgemeinenmieden die Menschen jener Epoche das Hoch-
gebirge. Es war lebensfeindlich, man konnte dort nichts anbauen
und ernten oder Vieh weiden lassen, und die Waffentechnik –
v. a. glatte Vorderladermusketen mit einer Kernschussweite
von etwa 70 bis 80 Metern – war noch nicht so weit, um hier
taktisch sinnvoll kämpfen zu können. Auch Artillerie konnte
nur sehr begrenzt eingesetzt werden; leichte, gar in Teillasten
zerlegbare Gebirgskanonen oder -haubitzen gab es noch nicht.
Ferner: Die bis dahin übliche Tercio-, Linear- und zuletzt
Kolonnentaktik ließ sich im Gebirge nicht umsetzen; ein Ver-
kehrsnetz als Voraussetzung für die logistische Unterstüt-
zung einer Gebirgskriegführung gab es de facto nicht. Die
Armeen früherer Jahrhunderte kamen deshalb auch ohne
eigene Gebirgstruppen ganz gut zurecht. Standen die Berge
aber tatsächlich einmal imWeg, trachtete man danach, sie so
schnell wiemöglich zu durchqueren bzw. die Täler zu gewinnen.
Und dennoch gab es zumindest Ansätze einer für den Kampf
im Gebirge spezialisierten leichten Infanterie, beispielsweise
das bayerische Gebirgsschützen-Korps, das 1813 zum Schutz
gegen österreichische Übergriffe aufgestellt, aber »ohne nen-
nenswerten Nutzen gestiftet zu haben« bereits 1814 wieder
aufgelöst wurde. Bis zu den wenigen Schneeschuhverbänden
und dann dem »Alpenkorps« des Ersten Weltkrieges gab es
keine »echten« deutschen Gebirgssoldaten.
Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts wandelte sich allmählich
das Verhältnis des Menschen zur Natur. Vor allem die Bewoh-
ner der boomenden Industriestädte sehnten sich zunehmend
nach unberührter, ursprünglicher Natur. Mehr und mehr ent-
wickelten sie einen Blick für die Schönheit der Berge. In der
wilden Urwüchsigkeit des Gebirges sahen sie die Erfüllung
ihres Wunsches »zurück zur Natur« – wenn man es sich leis­
ten konnte. Der beginnende Tourismus ging einher mit dem
Ausbau der Infrastruktur: Schutzhütten, Klettersteige, die
ersten »richtigen« Straßen, Seil- und Zahnradbahnen. Das
Gebirge wandelte sich so vom Feind des Menschen zu einem
seiner Lebens-, Freiheits- und Sehnsuchtsräume. Bergsteigen
und Skilaufen wurden Trendsportarten. Aber: Wohin Alpi-
nisten und Skifahrer gelangen konnten, war dies auch ent-
sprechend ausgebildeten und ausgerüsteten Truppen mög-
lich. Skibewegliche, gebirgskriegtaugliche Truppen, immer
besser ausgestattet mit Gebirgsgeschützen und bald auch mit
Maschinengewehren, wurden für eine imGebirge operierende
herkömmliche »Flachland«-Armee zu einer ganz neuen Gefahr.
Das Gebirge wandelte sich also von einem Durchmarsch- zu
einem Operationsgebiet, und so ergriff der Krieg schließ-
lich auch von den Alpen Besitz. Italien formierte 1872 seine
»Alpini«, Frankreich die »Chasseurs alpins«, die ersten, spe-
ziell für den Gebirgskrieg geschulten und ausgerüsteten Son-
derformationen. Die Heere der Alpenanrainer gaben damit
vielenWehrpflichtigen und jungen Offizieren die Möglichkeit,
die Freude am Bergsteigen und Skifahren mit dem Soldaten-
dienst zu verbinden. Aber: »Es ist leichter, aus Soldaten Ski-
läufer zu machen als aus Skiläufern Soldaten«, so ein k. u. k.
Offizier. Nur mit halbem Herzen folgte das Deutsche Reich
dieser Entwicklung, denn vor dem Ersten Weltkrieg bestand
für die vier deutschen Kontingentsheere aus politischen Grün-
den keine Notwendigkeit, eine eigene Gebirgstruppe aufzustel-
len. Der schmale Alpenanteil in Südbayern sowie die über den
Vogesenkammverlaufende Grenze zu Frankreich konnten auch
von herkömmlichen, allerdings speziell ausgerüsteten Trup-
pen verteidigt werden, so die vorherrschende Meinung. Vor
diesem Hintergrund wurde ab 1892 im Rahmen von Trup-
penversuchen bei den preußischen Jäger-Bataillonen Nr. 8 in
Schlettstadt imUnterelsaß und Nr. 10 in Goslar auch eine Ski-
ausbildung durchgeführt. Erst 1898 entschloss sich das baye-
rische Kriegsministerium zu einem ähnlichen Versuch bei den
beiden eigenen Jägerbataillonen. Man war also auf deutscher
Seite durchaus nicht blind gegenüber dieser Entwicklung und
hat auch nicht versäumt, den Skilauf militärisch nutzbar zu
machen. Allerdings dachte man nicht an einen geschlossenen
Einsatz von Großverbänden in einem Gebirgskrieg, sondern
eher an einen Sicherungs- und Aufklärungsdienst. Das außer-
dienstliche Skifahren wurde in Bayern indes nicht gefördert –
die Militärbehörden fürchteten Schadenersatz- oder gar Pen-
sionsansprüche nach Skiunfällen!
Der Krieg nahm 1914 imWesten bekanntlich nicht den erwar­
teten schnellen Verlauf. Von der Vogesenfront rief man für
den anstehenden Winterfeldzug nach Schneeschuhläufern
(Skifahrern). Württemberg stellte daraufhin die bereits mit
22Maultieren ausgestattete »Württembergische Schneeschuh-
Fotos: Bayerisches Armeemuseum, Ingolstadt
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Bayern-Südtirol
Colloquium
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