aviso 3 | 2014
Bayern-Südtirol
Werkstatt
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Nicht nur in Südtirol leben italienische Staatsbürger mit deutscher
Muttersprache. Es gibt über Norditalien verstreut mehrere Exklaven
des Deutschen. Im Westen sind es die Sprachinseln der sogenannten
»Walser«, die einst aus demWallis kamen und heute vor allem imAosta
tal leben. Auch im Osten an der Grenze zu Kärnten gibt es deutsche
Sprachinseln. Und südlich der deutsch-italienischen Sprachgrenze in
Südtirol, im Gebirge zwischen Trient, Verona und Vicenza, leben die
sogenannten »Zimbern« und »Mòcheni«.
Mòcheni
nennt man die
Bewohner des Fersentals bei Trient; die
Zimbern
leben in drei Inseln:
im Dorf Lusern, in den Sieben Gemeinden um Asiago und in den Drei-
zehn Gemeinden nördlich Verona.
Schon der Altvater
der europäischen Dialektforschung, der Münche-
ner Sprachforscher Johann Andreas Schmeller (1785-1852), besuchte
zweimal diese Sprachinseln. Über den Anstieg auf die Hochebene der
Sieben Gemeinden im Jahr 1833 in Begleitung Einheimischer schrieb
er in seinem Tagebuch:
»Als wir die Hochebene erreichten, der Vollmond uns in seinem ganzen
Glanze entgegenschien, und Capo Antonio ausrief:
Der Mano leüchtet
aso hüpesch!
da war mir als sey ich hinaufgestiegen in das Land und in
die Zeit der Minnesänger, ja in die der Notkere und Otfride«.
Was bewegte den
eher stocknüchternen, ja trockenen Philolo-
gen zu solcher Begeisterung? Es war seine erste Reise in die Sprach-
inseln. Die Sprache seiner Begleiter war ein »unabgefragtes freyes
frankes Deutsch in vollständigen Sätzen«, das er aber nicht verstand.
Plötzlich ein verständlicher Satz (›der Mond leuchtet so hübsch‹), und
so altertümliches Deutsch! Mit Notker und Otfrid deutet Schmeller
die Sprachwelt des neunten und zehnten Jahrhunderts nach Christi
Geburt an – leicht übertrieben, wie sich herausstellen wird, aber der
heutige Sprachstand des Zimbrischen weist immerhin ins 12. Jahr-
hundert.
Die »Mòcheni« im Fersental
Im Fersental oder Valle dei Mòcheni, 15 km östlich von Trient, wird
in drei Dörfern
Mòchenisch
gesprochen. Der Name
Mòcheni
kommt
angeblich vom häufigen Gebrauch des Worts ›machen‹ im deutschen
Dialekt. In der Volksbefragung der Provinz Trient aus dem Jahr 2011
deklarierten sich 1.660 Bürger als Mòcheni, 868 davon in der Sprach-
insel selbst. Sie sind heute alle zweisprachig und sprechen auch den ita-
lienischen Dialekt der Gegend. Viele können zudem passabel deutsch.
Ihren Alltagsdialekt nennen sie sogar
taitsch
. Der einstige Landes-
herr, der Fürstbischof von Trient, gehörte zu den Fürsten des Heiligen
Römischen Reichs deutscher Nation. Vom Ende des alten Reichs bis
1918 gehörte das Trentino dann als »Wälsch-Tirol« zu Österreich.
Text:
Anthony Rowley
Die Zimbern von Lusern
Ebenfalls im Trentino liegt das Dorf Lusern (ital.
Luserna), die nördlichste der zimbrischen Orte.
40 km südöstlich von Trient auf 1333 Metern
gelegen, ist Lusern die abgelegenste der Sprach-
inseln. Die nächste erreichbare Ortschaft liegt
15 km entfernt, die Straßenverbindung ist auch
heute noch abenteuerlich. Die etwa 250 Einwoh-
ner pflegen ihr »Cimbro« – so heißt die Ortsmund-
art – als alltägliche Umgangssprache. Die Isolation
und die stark ausgeprägte Heimatverbundenheit
der Luserner haben dazu geführt, dass Zimbrisch
dort auch in der jüngeren Generation lebendig ist,
obwohl die Dorfschule vor einigen Jahren aufge-
löst wurde und die Kinder jetzt ins 15 km entfernte
Lavarone fahren.
Zwischen dem Mòchenischen
des Fersen
tals und dem Zimbrischen von Lusern liegen
sozusagen hundert Jahre Sprachgeschichte – das
Zimbrische ist altertümlicher als die »modernste
südbairische Sprachinsel« (so der Wiener Dia-
lektforscher Eberhard Kranzmayer) des Fersen-
tals. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts konnte man
Zimbrisch auch in den weiter westlich gelegenen
Gemeinden Lavarone und Folgaria hören. Dort
starb es um 1950 endgültig aus.
»Toitsches Gaprecht« in den Sieben Gemeinden
Das Kerngebiet des Zimbrischen liegt weiter süd-
lich in den sogenannten Sieben und Dreizehn
Gemeinden. Die letzte der Sieben Gemeinden in
der Provinz Vicenza, in der sich das Zimbrische bis
heute erhalten hat, ist Roana (zimbrisch
Robaan
).
Das Dorf liegt auf einer Hochebene auf etwa 1000
Meter und hat über 3500 Einwohner, aber kaum
eine Handvoll davon spricht noch die alte Sprache,
die im Volksmund
toitsches gaprecht
heißt. Das
Wort
toitsch
(deutsch) ist hier anders als in Süd-
tirol ausschließlich Sprachenname; fragt man die
Leute nach ihrer ethnischen Selbsteinschätzung, so
antwortet niemand »deutsch«, sondern »cimbro«.
Die einzige Stadt, der Hauptort Asiago (zimbrisch
Slege
), wechselte zu Beginn des 20. Jahrhunderts
zum Italienischen.
»Das Land der Minnesänger«
die zimbrischen Sprachinseln in Oberitalien