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aviso 3 | 2015
RAUBKUNST UND RESTITUTION
COLLOQUIUM
»Lost Art« eingestellten – fünf Gemälde zunächst bis zum
30. November 1938 imMaximilianeum. Erst 1940 wurden die
»sichergestellten« Kunstwerke aus der Sammlung Davidsohn
den Staatlichen Museen Bayerns zum Kauf angeboten, und
im selben Jahr erwarb das Bayerische Nationalmuseum für
1.000 RM die Suppenterrine (BNM, Inv.-Nr. 40/496). Diese
wurde dann – gemäß Schreiben an die Wiedergutmachungs-
behörde Oberbayern vom 8. März 1950 – am 27. Juni 1947
als »Herrn Julius Davidsohn gehörig« an den Münchner
»Central Collecting Point« (CCP) »zwecks Rückerstattung
an den Eigentümer« abgegeben; die Rückerstattung ist am
29. Dezember 1948 vom Generalanwalt für Wiedergutma-
chung, Philipp Auerbach (1906–1952), beantragt worden.
DAGEGEN GELANGTE DIE
vielfach gerissene, also in kei-
nem guten Erhaltungszustand befindliche Holz- und Elfen-
beintafel erst 1955 in den Besitz des Bayerischen Nationalmu-
seums. Sie war zunächst 1945, kurz vor Kriegsende, in das in
Oberbayern gelegene Salesianerinnen-Kloster Beuerberg aus-
gelagert worden. Dies ist auch auf der »Property Card« des
CCP vermerkt (Beuerberg 212); dort wird als Eingangsda-
tum für das mit der sog. Münchner Nummer 36204 verse-
hene Objekt der 23. Juli 1946 genannt. Am 1. Dezember 1948
gingen die Restbestände des Münchner CCP offiziell in die
Treuhänderschaft des Bayerischen Ministerpräsidenten über.
Nachdem 1949 die dafür zuständige US-amerikanische Besat-
zungsstelle die Verantwortung für die Restitution NS-verfol-
gungsbedingt entzogenen Kulturguts an die deutschen Behör-
den abgegeben hatte, wurde die Tafel aus der Sammlung von
Julius Davidsohn am 8. Juni 1949 zuerst nachWiesbaden und
dann am 20. Juni 1952 zurück an die am 1. Juni 1951 einge-
richtete »Treuhandverwaltung von Kulturgut beim Auswär-
tigen Amt« (TVK) mit der Außenstelle »Treuhandverwaltung
von Kulturgut bei der Oberfinanzdirektion München« über-
wiesen. Diese hatte ab 22. Februar 1952 die Restbestände
der ehemaligen »Central Collecting Points« inWiesbaden und
München übernommen, also Objekte, die bis zu diesem Zeit-
punkt keinen bestimmten Eigentümern zugeordnet werden
konnten. Als »Presumed Owner« wird versehentlich »Julius
Davidson« genannt, und das Werk fälschlicherweise als
»Kopie des 19. Jh. nach 16. Jh.« klassifiziert. Es ging dann an
die »Jewish Restitution Successor Organisation« (JRSO) über,
und da keine Ansprüche auf das Objekt angemeldet wurden
bzw. keine Anspruchsberechtigten ausfindig gemacht wer-
den konnten – »No claims or records available« – gelangte es
schließlich 1955 auf Grund des Beschlusses der Wiedergut-
machungskammer München I vom 22. September 1954 als
Überweisung des Freistaats Bayern an das Bayerische Natio-
nalmuseum, ist dort unter der Nummer 55/124 inventarisiert
worden und gehört seitdem zu dessen Beständen.
Der am 6. Februar 1864 in Hannover geborene, am
28. Juni 1917 zusammenmit seiner Ehefrau Simone nachMün-
chen zugezogene Direktor und Kaufmann Julius Davidsohn
ist am 11. August 1942 in Theresienstadt ums Leben gekom-
men; seine am 31. Mai 1879 in Frankfurt amMain geborene
Ehefrau Simone (Semaja Franziska), geb. Hirsch, wird am
24. April 1943 ebenfalls in Theresienstadt ermordet. Im vom
Münchner Stadtarchiv herausgegebenen »Gedenkbuch der
Münchner Juden 1933–1945« findet sich auch ein Eintrag
zu Julius und Simone Davidsohn. Unklar ist nach wie vor, ob
und an wen die Suppenterrine aus Nymphenburger Porzel-
lan restituiert worden ist, da sich für alle anderen beschlag-
nahmten Objekte aus der Sammlung von Julius Davidsohn
keine Anspruchsberechtigten auffinden ließen und auch kein
Antrag auf Restitution einging. Ebenfalls nicht geklärt wer-
den konnte bislang der Verbleib der drei Farbstiche. Die Tafel
mit Schillers »Lied von der Glocke« aus demBesitz von Julius
und Simone Davidsohn stellt jedenfalls einen klassischen
Restitutionsfall dar.
UM ANSPRUCHSBERECHTIGTEN
die Möglichkeit auf
Restitution zu eröffnen, werden nun sämtliche imBayerischen
Nationalmuseum befindlichen Kunstwerke, bei denen Ver-
dacht auf NS-verfolgungsbedingten Entzug besteht, suk-
zessive in die öffentlich zugängliche Datenbank »Lost Art«
ngestellt, damit allen vom NS-Kunst-
raub betroffenen Personen Gerechtigkeit widerfahren kann –
gemäß dem Motto, das Friedrich Schiller seinem »Lied von
der Glocke« vorangestellt hat: »Vivos voco. Mortuos plango.
Fulgura frango.« – »Die Lebenden ruf’ ich. Die Toten beklag’
ich. Die Blitze brech’ ich.«
PROVENIENZFORSCHUNG AM
BAYERISCHEN NATIONALMUSEUM
Bereits vor dem Washingtoner Übereinkommen von 1998 hat sich
das Bayerische Nationalmuseum die Provenienzforschung zur Auf-
gabe gemacht und bis 2014 zahlreiche belastete Kunstwerke resti-
tuiert. Seit dem 1. Mai 2014 ist die Provenienzrecherche am Baye-
rischen Nationalmuseum durch die Berufung von Dr. Alfred Grimm
zum Beauftragten für Provenienzforschung und die Einrichtung eines
speziell dafür geschaffenen Referats institutionell verankert. Eine
kursorische Durchsicht des Erwerbungszeitraums 1933 bis 1945
hinsichtlich NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturguts ist be-
reits erfolgt und eine systematische und lückenlose Überprüfung
des Bestandes der ab 1933 an das Museum gelangten Objekte
hat begonnen. Nachdem 2014 das von der Arbeitsstelle für Pro-
venienzforschung und der Eleonora-Schamberger-Stiftung finan-
zierte Forschungsprojekt zu den Bildwerken aus der »Sammlung
Göring« abgeschlossen werden konnte, wird seit April 2015 von
Dr. Ilse von zur Mühlen das vom Deutschen Zentrum Kulturgut-
verluste und dem Bayerischen Staatsministerium für Bildung und
Kultus, Wissenschaft und Kunst geförderte Projekt zu den Metall
arbeiten aus der »Sammlung Göring« realisiert.
Dr. Renate Eikelmann
ist Generaldirektorin des
Bayerischen Nationalmuseums.
Dr. Alfred Grimm
ist Ägyptologe, Kunsthistoriker, Assyriologe
und Philologe des christlichen Orients. Er war von 1990 bis
2014 Hauptkonservator und stellvertretender Direktor des
Staatlichen Museums Ägyptischer Kunst in München. Seit
Mai 2014 leitet er als Beauftragter für Provenienzforschung
das gleichnamige Referat am Bayerischen Nationalmuseum.