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MITARBEITERINNEN IM REFERAT
FÜR PROVENIENZFORSCHUNG
Die Abteilung Provenienzforschung der Bayerischen
Staatsgemäldesammlungen wird seit 2008 von
Dr. Andrea Bambi geleitet und umfasst derzeit drei Mit-
arbeiter: Johanna Klapproth M.A. untersucht seit März
in einem zweijährigen Projekt Provenienzen von Wer-
ken der Klassischen Moderne. Dr. Florian Wimmer hat
eine befristete Projektstelle zu den Ȇberweisungen aus
Staatsbesitz« inne. In diesem Bereich arbeitet auch Anja
Zechel M.A. in Teilzeit. Insgesamt zu untersuchen sind im
Bestand der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen cir-
ca 4400 Gemälde und 770 Skulpturen, die vor 1945 ent-
standen sind und nach 1933 erworben wurden – ein Vor-
haben, das die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen
noch über etliche Jahre kontinuierlich beschäftigen wird.
schall Hermann Göring, von Hitlers Leibfotografen
Heinrich Hoffmann, demGauleiter von Nürnberg
und Herausgeber der Hetzschrift »Der Stürmer«
Julius Streicher, dem Chef des Parteiverlags Max
Amann und von Adolf Wagner, Gauleiter vonMün-
chen-Oberbayern und bayerischer Innenminister.
Ein größerer Teil der »Überweisungen aus Staats-
besitz« war außerdem vormals Parteieigentum der
NSDAP. Während Herkunft und Verbleib der 210
Gemälde aus der Sammlung Göring bereits un-
mittelbar nach der Washingtoner Konferenz von
Ilse von zur Mühlen erforscht und sorgfältig pub-
liziert wurden, sind die übrigen Kunstwerke derzeit
Gegenstand eines Forschungsprojekts von Florian
Wimmer und Anja Zechel.
»Überweisungen aus Staatsbesitz«
An Hitlers Beispiel orientiert, war das Sammeln
von Kunst innerhalb des Führungscorps des »Drit-
ten Reiches« weit verbreitet. Kunst zu schenken,
gehörte fest zur politischen Netzwerkpflege. Be-
sonderer Beliebtheit erfreuten sich Kunstwerke
des deutschen Mittelalters und der Renaissance,
Bilder niederländischer Künstler und die Genre-
malerei des 19. Jahrhunderts mit ihren Szenen
bäuerlichen Lebens. Nach Kriegsende wurde
Kunstbesitz von Partei und Parteielite im Rah-
men der Entnazifizierung enteignet. Die durch
den gleichnamigen Film von 2014 inzwischen be-
rühmtenMonuments Men der US-Armee brachten
die Kunstwerke in den sogenannten Central Coll-
ecting Point, den sie in der ehemaligen NSDAP-
Zentrale am Münchner Königsplatz einrichteten.
Amerikanische und deutsche Kunsthistoriker über-
prüften dort in den folgenden Jahren die Herkunft
hunderttausender Kunstwerke. Einen Großteil
davon konnten sie den rechtmäßigen Besitzern zurückgeben. Die ver-
bliebenen Werke aus NS-Besitz gingen dann in das Eigentum des Frei-
staates Bayern über. Dieser aus heutiger Sicht befremdliche Umgang
mit dem enteigneten Vermögen von Partei und Parteielite betraf indes
nicht nur Kunstwerke. So gelangten etwa auch Immobilien wie die
NSDAP-Zentrale amMünchner Königsplatz oder die Rechte an Hitlers
Buch »Mein Kampf« in das Eigentum des Freistaates. Als »Überwei-
sungen aus Staatsbesitz« kamen die Gemälde und Skulpturen schließ-
lich ressortbedingt in den 1950er und 1960er Jahren in den Bestand der
Pinakotheken. Die Rekonstruktion und Kontextualisierung der Ent-
scheidungsprozesse, die dazu führten, dass Kunstwerke aus dem Brau-
nen Haus, aus der Tegernseer Villa Max Amanns oder aus Heinrich
Hoffmanns großer Sammlung schließlich zu den Bayerischen Staats-
gemäldesammlungen gelangten, ist ein Ziel des laufenden Forschungs-
projektes.
DAS ZWEITE ZIEL
ist die klassische Herkunftsforschung zur Identi-
fizierung möglicher Raubkunst in diesem Konvolut, das in zweifacher
Hinsicht als besonders problematisch erachtet werden muss. Zum einen
sind Kunstwerke, die vormals hochrangigen Nationalsozialisten oder
der NSDAP gehörten, grundsätzlich als verdächtig anzusehen. Zum
anderen handelt es sich bei den »Überweisungen aus Staatsbesitz« viel-
fach um besonders komplexe Fälle: Fast alle diese Kunstwerke wur-
den bereits im Central Collecting Point überprüft. In den Museums­
bestand gelangten somit neben den damals als unbedenklich eingestuften
Objekten, nur Gemälde und Skulpturen, bei denen schon die Monu-
ments Men mit ihren Ermittlungen zu keinem Ergebnis kamen.
Florian Wimmer und Anja Zechel rollen die Fälle der »Überweisun-
gen aus Staatsbesitz« nun in zwei Stufen wieder auf. Zunächst geht
es darum, anhand der Dokumente im Museumsarchiv zu identifizie-
ren, welche Kunstwerke überhaupt auf diesem Wege in den Bestand
der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen gelangt sind, und sie
einer der nationalsozialistischen Sammlungen zuzuordnen. In diesem
Zusammenhang wird auch die Rückseite jedes Gemäldes auf Hinweise
Hans Frank, 19
Heinrich Hoffmann, 44
Eva Hitler Braun, 1
Baldur von Schirach, 0
Max Amann, 17
Adolf Wagner, 17
Paul Giesler, 1
Julius Streicher, 9
Parteibauten, 83
Funker Kaserne, 6
Obersalzberg, 12
Platterhof, 60
Goering, 210
Noch nicht bearbeitet*, 471
Herkunft und Bearbeitungsstand der „Überweisungen aus Staatsbesitz“
Nach dem derzeitigen Stand der Forschung stammen 950 Kunstwerke aus den Überweisungen
aus Staatsbesitz. Knapp die Hälfte ist inzwischen untersucht worden. Von diesen 479 konnte
wiederum etwa die Hälfte als unbedenklich eingestuft werden. Die anderen 216 Objekte sind beim
Deutschen Zentrum Kulturgutverluste und auf der dazugehörigen Sei
te
gem
eldet.
* Dazu gehören u.a. die Bereiche
Parteikanzlei, Parteibauten, Amt
Rosenberg oder Besitz Martin
Bormann.
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