aviso - Zeitschrift für Wissenschaft und Kunst in Bayern - page 30

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aviso 3 | 2015
RAUBKUNST UND RESTITUTION
COLLOQUIUM
FÜR DIE BAYERISCHE
Staatsbibliothek ist es selbst-
verständlich, NS-Raubgut so unbürokratisch wie
möglich an die rechtmäßigen Besitzer zurückzu­
geben. Sie orientiert sich dabei an dem Grund-
gedanken der Washingtoner Erklärung von 1998,
wonach bei Kunstwerken, die von den National-
sozialisten beschlagnahmt und in der Folge nicht
zurückgegeben wurden, nach gerechten und fai-
ren Lösungen zu suchen ist. In ihrer »Gemeinsa-
men Erklärung zur Auffindung und zur Rückgabe
NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes«
vomDezember 1999 haben sich Bund, Länder und
kommunale Spitzenverbände dazu verpflichtet, auf
die Umsetzung dieser Washingtoner Grundsätze in
öffentlichen Einrichtungen hinzuwirken. Daher
war es für die Bayerische Staatsbibliothek klar, dass
eine Restitution des Płocker Pontifikales ohne Vor-
bedingung vorzunehmen ist.
Die Bayerische Staatsbibliothek betreibt bereits
seit 2002 eine systematische Raubgutforschung
an ihren Beständen. In den zurückliegenden Jah-
ren wurdenmehr als 60000 Bücher aus potenziell
betroffenen Sammlungssegmenten detailliert ge-
prüft. Dabei fanden sich rund 500 Bücher, deren
Erwerb als unrechtmäßig anzusehen ist. Im An-
schluss an diese Funde erfolgten mehrere Rückga-
ben, unter anderem 78 Bände aus der Arbeitsbiblio-
thek Thomas Manns an das Thomas-Mann-Archiv
in Zürich im Jahr 2008. Weitere Restitutionen sind
in Vorbereitung, beispielsweise 252 Bücher aus dem
früheren Geca Kon Verlag.
Eine Übergabe im Geist der Versöhnung
Ein Schreiben des Bischofs von Płock, Piotr Libera,
an die Bayerische Staatsbibliothek im März 2015
betont die einzigartige Bedeutung desWerkes: »Der
Verlust einer derart kostbaren Quelle ist sowohl für
die Kirche in Polen als auch für das polnische Kul-
turerbe kaum zu überschätzen.« Vor diesemHinter-
grund fiel zu Anfang April die Entscheidung des Bayerischen Staatsmi-
nisteriums für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst, gemeinsam
mit der Bayerischen Staatsbibliothek das Pontifikale seinem rechtmäßi-
gen Besitzer, der Płocker Diözese, zu übergeben.
Bereits am 13. April konnte diese Entscheidung vomBayerischen Staats-
minister für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst, Dr. Ludwig
Spaenle, und der polnischen Generalkonsulin Justyna Lewa´nska inMün-
chen bekanntgegeben werden. Zwei Tage später erfolgte dann die feier-
liche Restitution der Handschrift im Giedroyc-Festsaal des polnischen
Außenministeriums. Vertreten waren von polnischer Seite der Minister
für Auswärtige Angelegenheiten, Grzegorz Schetyna, und der Bischof von
Płock, von deutscher Seite der Botschafter der Bundesrepublik Deutsch-
land, Rolf Nikel, Staatsminister Dr. Ludwig Spaenle und der General­
direktor der Bayerischen Staatsbibliothek, Dr. Klaus Ceynowa.
IN SEINER FESTANSPRACHE
betonte Staatsminister Spaenle: »Mit der
Rückgabe des Pontifikale, das ... eine wichtige Rolle in der Geschichte
der polnischen Kirche imHochmittelalter spielte, möchte ich ein klares
Zeichen der Verständigung und des Miteinanders setzen. Das Christen-
tum hat Deutsche und Polen vor 1000 Jahren eng zueinander geführt.
Das Machtstreben der Herrscher in verschiedenen Jahrhunderten und
die menschenverachtende Politik der Nationalsozialisten haben später
immenses Unrecht und Leid verursacht. Das Pontifikale ist ein Zeugnis
für die gemeinsamenWurzeln und eine gemeinsame Zukunft. Wir wollen
als Freunde und Nachbarn auf christlich-abendländischer Wertegrund-
lage die Zukunft Europas weiter gestalten.«
Mit der Rückführung in die Diözese Płock kommt die lange Irrfahrt dieses
einzigartigen Kulturgutes zu einem guten Ende. In seinem Brief vom
März 2015 hat Piotr Libera das gemeinsame Verständnis, aus demheraus
die Restitution erfolgt ist, so beschrieben: »Ich bin völlig überzeugt, dass
es an der Zeit ist, die durch den Weltkrieg verursachten wunden Angele­
genheitenabzuschließen.«Zudenhierdurch eröffnetenPerspektivengehört
auch, dass das Pontifikale von Płock nun weltweit verfügbar ist, zu lesen
durch jeden und zu jeder Zeit: als Digitalisat über die »Digitalen Samm-
lungen« der Bayerischen Staatsbibliothek. Damit gehört es – wie alle
großen Kulturgüter – auch der ganzen Menschheit.
Dr. Klaus Ceynowa
ist seit April 2015 Generaldirektor der Bayerischen
Staatsbibliothek. Sein besonderes Interesse gilt der digitalen
Transformation des schriftlichen Kulturerbes und der Bedeutung von
Text, Literatur und Schrift in der digitalen Lebenswelt.
links
Bei der Unterzeichnung der Übergabevereinbarung: (von links nach rechts) der Bischof von Płock, Piotr Libera, der polnische Außenminister
Grzegorz Schetyna, Generaldirektor Dr. Klaus Ceynowa und Staatsminister Dr. Ludwig Spaenle.
rechts
Bischof Piotr Libera und Dr. Klaus Ceynowa im Fachgespräch über das Pontifikale.
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