aviso - Zeitschrift für Wissenschaft und Kunst in Bayern - page 19

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Text:
Alfred Grimm
IM RAHMEN DER
zur Zeit am Baye­
rischen Nationalmuseum durchge-
führten systematischen und lückenlosen
Überprüfung der Provenienzen zwischen
1933 und 1945 an dasMuseumgelangter
Kunstwerke konnten bereits zahlreiche
Objekte eindeutig als NS-Raubkunst
identifiziert werden. An zwei hinsicht-
lich ihrer Provenienz völlig unterschied-
lichen Bildwerken lässt sich exemplarisch
nicht nur derenNS-Raubkunst-Schicksal
nachverfolgen, sondern gleichzeitig auch
die durch in jüngster Zeit erfolgte Bereit-
stellung und Erschließung von Archiv-
material möglich gewordene Effektivi-
tät heutiger Provenienzforschung zeigen.
Der entthronte Triton
In der 2008 in Schloss Rastatt anlässlich
des 275. Todestages derMarkgräfin Sibyl-
la Augusta von Baden-Baden gezeigten
Sonderausstellung »Extra schön –
Markgräfin Sibylla Augusta und ihre
Residenz« befand sich als Leihgabe des
Bayerischen Nationalmuseums auch
eine in Florenz um 1700 in den Groß-
herzoglichen Werkstätten der Medici
hergestellte Prunkkassette mit der ver-
goldeten Bronzefigur eines Triton als
Bekrönung (BNM, Inv.-Nr. R 3449). Im
Katalog heißt es dazu: »Die ungewöhn-
liche Form von drei übereinander ange-
ordneten Kästen macht die in München
erhaltene Kassette zu einemauffallenden
Schaustück. Die übereck gestellten ver-
goldeten Bronzeornamente sowie die auf
der obersten Deckplatte kniende Nep-
tunfigur verleihen das prächtige und
zugleich äußerst akzentuierte ›adorna-
mento‹. (…) Die bekrönende Figur des
Neptun könnte als ein Hinweis auf ihre
einstige Bestimmung zu verstehen sein.
Wie die Kassette für Lorenzo Corsini
war auch dieses Stück vielleicht einmal
zur Aufbewahrung heilsamer Essenzen
im Innern eingerichtet.« Die Bildtafeln
mit Darstellungen von Vögeln, Früch-
ten und Blumen in Pietra-Dura-Technik
tragende Kassette aus Ebenholz stammt
aus dem Besitz des der Neuburger Linie
der Wittelsbacher entstammenden Kur-
fürsten Johann Wilhelm von der Pfalz
(1656–1727) und dürfte als Geschenk der
Familie seiner zweiten Gemahlin, Prin-
zessin Anna Maria Luisa de’ Medici (1667–1743), Tochter des Großher-
zogs der Toskana, Cosimo III. de’ Medici, und dessen Frau Margue-
rite Louise d’Orléans, zuerst nach Düsseldorf und später dann nach
München gelangt sein. Über diese reich mit vielfarbigen Pietra-Dura-
Intarsien und Bronze-Ornamenten dekorierten Kästchen als Speziali-
tät der Florentiner Hofwerkstätten schreibt der Deutsche Johann Georg
Keyßler (1693–1743) nach einem Besuch der »Galleria dei Lavori«: »All-
hier werden kleine Haus-Apotheken von Eben-Holze gemacht, so mit
bas reliefs von kostbaren Steinen (welche Blumen, Vögel und derglei-
chen Dinge abbilden) gezieret sind. In dergleichen Kästen verschicken
die Groß-Herzöge die parfums und Essenzen, welche sie oftmals an aus-
wärtige große Herren zu schenken pflegen.«
LEIDER KANN DER
im Rastatter Ausstellungskatalog fälschlicherweise
als Neptun identifizierte Triton jedoch keinerlei Hinweise auf die ehe-
malige Verwendungssituation der Prunkkassette liefern, denn aus den
Inventarverzeichnissen des Bayerischen Nationalmuseums geht eindeu-
tig hervor, dass diese Bekrönungsfigur erst in neuerer Zeit hinzugefügt
wurde, also ursprünglich nicht Bestandteil der mutmaßlichen »Haus-
Apotheke« gewesen ist. Die feuervergoldete, zu Beginn des 17. Jahr-
hunderts wohl in den Niederlanden entstandene Bronzestatuette des
auf delphinschwänzig gebildeten Beinen knienden Triton (BNM, Inv.-
Nr. 42/210) ist vom Bayerischen Nationalmuseum auf der vom 3. bis
5. Dezember 1942 vom »Münchener Kunstversteigerungshaus Adolf
Weinmüller« durchgeführten Auktion für 750 RM erworben worden,
zusammen mit neun weiteren Objekten. Im Auktionskatalog »Altes
Kunstgewerbe, Ostasiatica, alte Möbel, Plastik, Gemälde alter und neuer
Meister, Graphik, Textilien aus fürstlichem und anderem Besitz« ist die
stilistisch Arbeiten von Adriaen de Vries nahestehende Figur unter Nr.
816 verzeichnet, mit allerdings falscher Herkunfts- und Datierungs­
angabe: »Deutsch. Um 1580. Knieender [sic] Triton. Bronze, feuervergol-
det. Auf mod. Sockel. – H. 12 cm.« Erst im Frühjahr 1956 ist der Triton
dann auf die Florentiner Prunkkassette montiert worden, sehr wahr-
scheinlich, um diese optisch einem ebenfalls im Bayerischen National-
© Bayerisches Nationalmuseum München, Fotos: Bastian Krack, Walter Haberland
oben
Florentiner Prunkkassette (BNM Inv.-Nr. R 3449) mit Triton-Aufsatz.
daneben
Florentiner Prunkkassette in Pietra-Dura-Technik (BNM Inv.-Nr. R 3449).
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RAUBKUNST UND RESTITUTION
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