aviso 2 | 2015
BÖHMEN UND BAYERN
COLLOQUIUM
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Der Abschluss der seit 2002 laufenden NS-Raubgutforschung wird seit
Mitte 2013 durch das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste in Magde
burg gefördert. Ein Projektteam arbeitet derzeit an Rückgaben sowie
an der Identifizierung von weiteren Fällen. Diese Prüfung muss am
Bestand selbst erfolgen, da viele einschlägige Unterlagen im Zweiten
Weltkrieg verbrannt sind. So können nur die im Buch enthaltenen Spu-
ren – Stempel, Exlibris und handschriftliche Eintragungen – Hinweise
auf die Vorbesitzer geben. Dies betrifft vor allem sämtliche Zugänge
der Jahre 1933-1945. Raubgut kam dabei auf unterschiedlichem Wege
in die BSB: als »Schenkung« von Gestapo und Wehrmacht, durch
gezielten Erwerb oder durch Tausch mit anderen Institutionen. Noch
vielfältiger ist die Liste der beraubten Vorbesitzer, die sich von jüdischen
Institutionen und Privatpersonen, Gewerkschaften und deren Vertretern,
sozialistischen Politikern, religiösen Vereinigungen und Freimaurerlogen
bis hin zu prominenten Exilanten wie Golo und Thomas Mann erstreckt.
Ein Beispiel dafür ist ein größerer Bestand an Freimaurerliteratur,
Ergebnis eines Tauschgeschäfts mit der SS-Schule »Haus Wewelsburg«.
Im Austausch für eigene Dubletten erhielt die Staatsbibliothek 1937/38
ca. 450 Titel an Freimaurerliteratur, die zuvor andernorts beschlagnahmt
worden war. Die Erschließung dieser Provenienzen ist mittlerweile fast
beendet, so dass die Rückgabe noch dieses Jahr erfolgen kann. Wie
bei allen Restitutionen sollen die Bücher zuvor digitalisiert werden, so-
fern der Besitzer damit einverstanden ist – so bleibt die in den Werken
enthaltene Information für Bibliotheksnutzer verfügbar.
Auch nach dem Ende des »Dritten Reiches« gelangte Raubgut in die
Bibliothek, vor allem in der unmittelbaren Nachkriegszeit. Es handelte
sich dabei um die Bibliotheken von aufgelösten NS-Institutionen, die
der Staatsbibliothek von der amerikanischen Militärregierung überge-
ben wurden.
Das größte derartige Konvolut war der Bestand »Sonthofen« mit ca.
40000 verzeichneten Titeln. Diese stammten aus den Bibliotheken der
dort untergebrachten NS-Ordensburg, mehrerer Adolf-Hitler-Schulen
sowie dorthin ausgelagerten Beständen pseudowissenschaftlicher
NS-Forschungseinrichtungen. Durch Zugangsverzeichnisse für die Sont-
NS-RAUBGUTFORSCHUNG AN DER BAYERISCHEN STAATSBIBLIOTHEK
Dr. Stephan Kellner
ist Landeshistoriker, Bavarica-Referent
der Bayerischen Staatsbibliothek und leitet dort die NS-Raub-
gutforschung.
Sebastian Peters B.A.
ist Historiker und wissenschaftlicher
Mitarbeiter im vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste
geförderten Projekt »Abschluss der NS-Raubgutforschung an
der Bayerischen Staatsbibliothek«.
hofen-Bücher ist es heute noch möglich, im Bibliotheksbestand nach
diesen zu suchen. Bei möglichen Verdachtsfällen werden im Moment
weiterführende Recherchen veranlasst, bei den bereits ermittelten Fäl-
len von Raubgut nach Möglichkeiten zur Rückgabe gesucht. Im kom-
menden Projektjahr sollen die Nachforschungen zum Bestand »Sont
hofen« intensiviert werden.
Weiterhin kamen nach 1945 noch zwei kleinere Teilbestände aus dem
»Reichsinstitut für die Geschichte des neuen Deutschlands« sowie aus
dem Hauptarchiv der NSDAP in die Staatsbibliothek, jeweils mehr als
hundert Bücher. Bei der Prüfung fielen ebenfalls bereits Fälle von Raub-
gut auf: Ein Büchlein stammt aus dem Besitz des SPD-Politikers und
späteren Dortmunder Oberbürgermeisters Fritz Henßler (1886-1953).
Dieser wurde von 1936 bis 1945 im KZ Sachsenhausen gefangen
gehalten. Über den Sender Radio München gelangte das Buch spätes
tens 1948 an die Staatsbibliothek. Das Buch wird derzeit digitalisiert
und anschließend dem Stadtarchiv Dortmund übergeben, wo sich der
Nachlass Henßlers befindet.
Ein zweiter Fall von Raubgut aus dem Reichsinstitut, ein hebräisches
Werk aus dem frühen 18. Jahrhundert, weist durch einen Stempel auf
die in München ansässige »Forschungsabteilung zur Judenfrage« hin.
Ein Stempel des Wiener Oberrabbiners Moritz Güdemann (1835-1918)
führte schließlich nach Wien. Das Buch wurde dort 1938 von den NS-
Behörden beschlagnahmt und später dem Reichsinstitut überlassen.
Im Moment wird die Rückgabe an die Israelitische Kultusgemeinde
Wien vorbereitet.
Die hier angeführten Beispiele zeigen, auf welch vielfältige Art und Weise
Raubgut in die Staatsbibliothek gelangt ist und sich zum Teil noch heute
dort befindet. Auch wird deutlich, welche komplexen Wege die Werke
gegangen sind. Ihnen wird konsequent nachgegangen, um unrechtmä-
ßigen Besitz zu identifizieren und konsequent zu restituieren.
oben
Restituierte Bände der »Spanish Series« aus dem Besitz von Dr.
Ludwig Bernheimer
oben
Dr. Thomas Sprecher (Thomas-Mann-Archiv Zürich), Professor
Frido Mann, Dr. Klaus Ceynowa bei der Übergabe von Büchern Thomas
Manns an das TMA Zürich
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