aviso - Zeitschrift für Wissenschaft und Kunst in Bayern - page 26

aviso 3 | 2014
Bayern-Südtirol
Colloquium
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So blieben Defregger
und sein Schülerkreis
lange mit der Wahrnehmung der »Münchner
Schule« verbunden. Auch deshalb wählte man
2008 Defreggers Gemälde »Die Kraftprobe« zum
Plakatmotiv für die gleichnamige Ausstellung zum
200-jährigen Jubiläum der Münchner Kunst­
akademie.
Einer der Schwerpunkte dieser Jubiläumsschau
war die Internationalität der Studentenschaft
in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die
Anzahl der Ausländer belief sich noch bis zum ers-
ten Weltkrieg auf etwa ein Drittel aller Studenten.
Die Tiroler zählten zu den vielen Künstlern aus
demVielvölkerstaat Österreich-Ungarn, die ab den
1850er Jahren in die Kunststadt München ström-
ten, darunter sehr viele Ungarn, aber auch Italie-
ner und Tschechen.
Im Zeitraum zwischen
1850 und 1920 sind rund
200 Tiroler an der Münchner Kunstakademie im
Matrikelbuch nachweisbar. Hier hatten sie eine Art
Zwischenstatus: Streng genommen zählten sie zu
den Ausländern, sprachlich und kulturell hatten sie
allerdings kaumBarrieren zu überwinden, weshalb
eine Integration in das Münchner Kunstleben für
sie problemloser zu bewältigen war als für andere
Nationalitäten.
Tiroler Maler in den Münchner Künstlervereinigungen
So findet man sie unter den Künstlern der 1892
gegründetenMünchner »Secession« ebenso wie in
den Künstlerkolonien des Münchner Umlands, wo
sie sichmit denmodernen Entwicklungen der Kunst,
vor allem der Freilichtmalerei, auseinandersetzten.
Leo Putz etwa beteiligte sich ab 1892 an den jähr-
lichen Ausstellungen der »Secession« und wurde
1899 Mitglied der Künstlervereinigung »Scholle«.
Und zusammenmit seinemFreund, dem in Brixen
geborenen Eduard Thöny, gehörte er zumMünch-
ner »Künstler-Sänger-Verein«, der nicht zuletzt für
seine Karikaturisten berühmt war.
Zwischen Malerei und Druckgrafik – ein produktives
Zwischenmilieu in der Kunststadt München
Das war kein Zufall, denn die renommierte Akade-
mie entließ längst zu viele Maler auf einen Kunst-
markt, der bei weitemnicht groß genug war für alle
Absolventen. In seinem soziologischen Standard-
werk »Der moderne Künstler« hat der Berliner
Kulturhistoriker Wolfgang Ruppert daher gerade
die Münchner Akademie als Ausbildungsstätte für
ein »akademisches Proletariat« untersucht, für das
die illustrierten Zeitschriften nun willkommene
Auffangstationen bildeten.
In den Redaktionen
der 1896 gegründeten Zeitschriften »Jugend« und
»Simplicissimus«, bei den »Fliegenden Blättern« und den Münchner
Grafikverlagen bewarben sich manche der akademischen Kunstmaler
nunmit ihren Illustrationen und Karikaturen. In der Verlagsstadt Mün-
chen konnten sie von Talenten leben, die an der Akademie selber nur
nebenamtlich gewürdigt wurden – in der vielfältigen und kunsthisto-
risch noch längst nicht aufgearbeiteten Kultur der Kommers-, Biertisch-
und Kneipzeitungskarikatur.
So ergab sich in München ein modernes Zwischenmilieu, in dem ein
Leo Putz als Maler ein Spätimpressionist und gleichzeitig ein Karikatu-
rist imZentralorgan des Jugendstils sein konnte, ebenso erfolgreichmit
auratischer Galerieware wie mit auflagenstarker Zeitungsgrafik – eine
Gattungssymbiose, wie sie im Paris der Jahrhundertwende der Schwei-
zer Felix Vallotton verkörperte.
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