aviso 3 | 2014
Bayern-Südtirol
Colloquium
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nungen des Fremdenverkehrs und wetterte gegen
die sündhaften Versuchungen und Verlockungen.
In abgelegenen Tälern wuchsen Luxusherbergen,
wie das Grandhotel »Brennerbad« empor, das über
Zimmer mit Zentralheizung, Frisiersalons, Tennis-
plätze, ja sogar eine Kapelle verfügte. Heute ist von
der ganzen Pracht nur noch die Kapelle erhalten…
Gletscherpfarrers Berg-Sehnsucht
Die schneebedeckten Gipfel waren näher gerückt
und die Eroberung der Tiroler Bergwelt konnte
beginnen. »Die Alpen von Tirol sind des Bayer-
lands Gebirge und ihre blauen Zinnen wecken
von Jugend auf unsere Sehnsucht«, schwärmte
Ludwig Steub. Einer der Pioniere des Alpin-Tou-
rismus war Franz Senn, genannt der »Gletscher-
pfarrer«. Der Mitbegründer des Alpenvereins hatte
sehr früh erkannt, dass es den Bergfreunden an
Unterkünften fehlte. Jetzt ging die Erschließung
der Tiroler Berge zügig voran und der Alpenver-
ein ließ Schutzhütten bauen, Wege anlegen und
Führer ausbilden. Immer mehr naturbegeisterte
Bayern strömten nach Tirol und so manche Erst-
besteigung ging auf ihr Konto. Dem Münchner
Georg Winkler gelang es, einen der schwierigsten
Gipfel im »Rosengarten« zu bezwingen, der seit-
dem seinen Namen trägt.
Mit dem Automobil nach »Oster-München«
Viele Pässe und Täler hatten seit 1870 bessere Stra-
ßen erhalten. Das erste Autorennen in Tirol, eine
Fernfahrt zwischen Bozen und München 1899, war
noch ein echtes Abenteuer. Bald knatterten die ers-
ten Automobile über die Bergpässe und demons
trierten, dass ein neues Zeitalter angebrochen
war. Die »Reise nach Tirol« wurde zum beliebten
Gesellschaftsspiel nördlich der Alpen, zumWunsch-
traum für Jung und Alt, dessen Erfüllung immer
näher rückte. An Ostern 1914 stellte der große
Essayist Josef Hofmiller erstaunt fest: »Tausende
von Deutschen sind alljährlich in Südtirol gewe-
sen. Bozen war so besucht von Münchnern, daß
es im Scherz…Oster-München genannt wurde.«
Ein Münchner Kunstpapst aus Tirol
Für viele Tiroler lag München nicht nur geogra-
fisch näher als Wien, es hatte auch einiges zu bie-
ten: klassizistische Bauten, Museen von Weltfor-
mat und eine berühmte Kunstakademie. Auch
den Tiroler Franz Defregger zog es an die Isar. Der
gelernte Holzschnitzer wurde in die Akademie-
klasse Karl von Pilotys aufgenommen. Mit der
für ihn typischen Mischung von Genrebild und
Historienmalerei wurde Defregger zu einem der
bedeutendsten Vertreter der »Münchner Schule«
und unterrichtete ab 1878 an der Kunstakademie.
Die Verbindung zur bäuerlichen Welt Tirols ließ
er nicht abreißen, auch wenn er in München bald
zum »Kunstpapst« avancierte. Ansehen und Ein-
kommen wuchsen, bald folgten der Adelstitel und
wenig später die Ehrenbürgerschaft. Unter den
Tiroler Künstlern, die nach München pilgerten,
war auch Eduard Thöny aus Brixen. Defregger
ließ den Sohn des Freundes in seinem Haus in
Schwabing wohnen. Thöny besuchte die Kunst-
akademie und wollte ursprünglich Historien- und
Genremaler werden. 1896 wechselte er dann zur
Satirezeitschrift »Simplizissimus«, für die er fast
50 Jahre zeichnen sollte.
Inspirierender Südtiroler Wein
Ob aus Bayern oder Tirol, für zahllose Künstler
wurde das »Batzenhäusl« in Bozen zum Musen-
tempel. In der urigen Weinschänke ließen sich
Maler, Poeten und Gelehrte vom St. Magdalener
inspirieren, so auch Defregger, Steub und Gangho-
fer. Dutzende von Künstlern vermachten demWirt
Zeichnungen, Gemälde und Skulpturen. Heute
hängen in dem beliebten Weinlokal noch die
Kopien, die Originale der wertvollen Bildersamm-
lung sind auf Burg Prösels ausgestellt. Als imMai
1915 die Katastrophe des Ersten Weltkriegs über
Tirol hereinbrach, fand auch die Künstlerwallfahrt
zum »Batzenhäusl« ein jähes Ende.
Dem Grauen des
Krieges folgten die Teilung
des Landes, die faschistische Gewaltherrschaft,
Unterdrückung und Gleichschaltung. Trotz die-
ser Rückschläge blieben die reiselustigen Bayern
auch in diesen schweren Zeiten nicht aus. Als in
den 90er Jahren mit dem Autonomiestatut wieder
Normalität einkehrte, schwoll auch der Urlauber-
strom nach Süden an. Bayern und Tiroler kennen
und schätzen sich seit jeher. Bei aller Verschieden-
heit ist man sich doch sehr ähnlich, denn Sprache,
Mentalität, Brauchtum und Lebensart bilden ein
solides Fundament. Da ist es nicht verwunderlich,
dass auch das kulturelle Band, historisch gewach-
sen, über Jahrhunderte gehalten hat. Und zuweilen
hat es sogar den Anschein, als ob Tirol das andere,
das urtümlichere Bayern ist.
Dr. Engelbert Schwarzenbeck
,
langjähriger Redak-
tionsleiter Geschichte beim Bayerischen Fernsehen,
hat die dreiteilige Dokumentation »Bayern und
Tirol« konzipiert und bei der 3. Folge auch Buch und
Regie geführt.