aviso 3 | 2015
RAUBKUNST UND RESTITUTION
COLLOQUIUM
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2003 wurde der erste Antrag auf Restitution eines kon-
kreten Werkes, »Visegrád an der Donau bei Gran/Ungarn«,
1852 (Inv.-Nr. 45171 Z), aus der ehemaligen Sammlung Gott-
fried und Hermann Eissler in Wien gestellt. Er konnte nicht
weiter verfolgt werden, weil die konkreten Nachweise über
die Erbschaftsberechtigung nicht erbracht werden konnten.
Auch die Frage, ob sich das Aquarell vor der vermeintlichen
Beschlagnahme 1938 überhaupt noch imBesitz der verfolgten
Familie befunden hat, musste ungeklärt bleiben. Denn aus
der Sammlung Eissler waren bereits in den 1920er Jahren
Werke in den Kunsthandel gegeben worden. Erneut konnte
sich die Graphische Sammlung allenfalls passiv verhalten, da
die aufwändigen – auch genealogischen – Recherchen ohne
entsprechende Fachkenntnis nicht durchführbar waren.
Die daraufhin in den Folgejahren unternommenen Versuche,
stichprobenartig Recherchen zum Alt-Bestand in einschlä-
gigen Archiven zu unternehmen, erwiesen sich als nicht
praktikabel. Schnell zeigte sich, dass nahezu jedes einzelne
Werk eine eigene Recherche-Strategie erfordert, dass jedoch
diese Einzelfall-Recherche nur dann zielführend sein kann,
wenn generell mehr Informationen zumGesamtkomplex des
Rudolf von Alt-Bestandes vorliegen.
Als die »Commission for Looted Art in Europe« schließlich
2009 zu Gunsten der Erben nach der jüdischen Sammlerin
Lotte Heissfeld aus Wien einen Restitutionsantrag für das
Aquarell »Der alte Nordbahnhof« (Inv.-Nr. 45626 Z) stell-
te, war dies erstmals ein Fall, bei dem sich – nicht zuletzt
durch die Unterstützung der Antragssteller – die Proveni-
enz lückenlos nachweisen ließ, die Verfolgungssituation ein-
deutig und die Erbfolge belegt war. 2011 konnte das Werk
restituiert werden.
Das Forschungsprojekt
Parallel zu diesem Verfahren bemühte sich die Graphische
Sammlung schließlich um Unterstützung von der 2008 ein-
gerichteten Arbeitsstelle für Provenienzforschung (AfP) bei
der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Berlin, so dass von
2012 bis Ende 2013 Dr. Meike Hopp im Rahmen eines geför-
derten Projektes den Alt-Bestand der Graphischen Samm-
lung umfassend aufarbeiten konnte.
Als überaus zeitaufwändig erwies es sich jedoch, überhaupt
einen Überblick über das Œuvre des Künstlers zu bekom-
men. Es existiert zwar seit 1975 ein Verzeichnis der Aqua-
relle, welches der damalige Direktor der Albertina, Walter
Koschatzky, erstellt hat, aber schon dem Autor selbst war
bewusst, dass er mit seinem fast 1500Nummern umfassenden
Katalog wahrscheinlich kaum ein Drittel des Gesamtwerks
erfassen konnte. Die Anfragen der zurückliegenden Jahre
hatten angedeutet, dass dieses Werk nicht nur in seiner Fül-
le, sondern auch in der Arbeitsstrategie des Künstlers gera-
dezu heimtückische Probleme für die Provenienzforschung
bergen würde. Rudolf von Alt hatte teils über Jahrzehnte
hinweg seine erfolgreichen Bilder eigenhändig und minu-
Dr. Andreas Strobl
ist nach Arbeitsstationen in Schweinfurt
und Bremen seit 2002 Konservator für die Kunst des
19. Jahrhunderts an der Staatlichen Graphischen Sammlung
München.
Zum Weiterlesen
Walter Koschatzky, »Rudolf von Alt«, Wien/Köln/Weimar 2001
»Rudolf von Alt. 1812-1905«, hg. von Klaus Albrecht Schröder
und Maria Luise Sternath, Wien 2005
»Rudolf von Alt. ›…genial, lebhaft, natürlich und wahr‹. Der
Münchner Bestand und seine Provenienz«, München 2015
(erscheint Ende Juli)
tiös wiederholt. Die einzelnen Varianten sind heute kaum
voneinander zu unterscheiden. Nimmt man sich den »Blick
auf die Altstadt von Salzburg« aus dem Jahr 1887 (Inv.-Nr.
45648 Z) zum Beispiel, so wird man feststellen, dass heute
wenigstens zwei Varianten dieses Blattes bekannt sind, die
sich nur minimal anhand der Gruppierung der Staffage auf
Uferpromenade und Brücke unterscheiden. Dieses Phäno-
men erschwert es erheblich, Werke Alts in den weitgehend
bilderlosen Ausstellungs- und Auktionskatalogen vor 1945
oder gar in – kaummit den wichtigsten (Maß-)Angaben ver-
sehenen – Besitzstandslisten zu identifizieren, mit denen
jüdische Sammler ab Juni 1938 den Finanzbehörden ihr
Eigentum darlegen mussten.
eike Hopp hatte in ihrer Aufsehenerre-
genden Studie zu demMünchner Auktions-
haus Weinmüller auf eine graue Eminenz des
Münchner Kunsthandels, den »Reichsamtsleiter im Stab des
Stellvertreters des Führers« Ernst Schulte Strathaus (1881–
1968) hingewiesen. Der Stabsleiter und spätere »Stellver-
treter des Führers«, Martin Bormann, hatte ihn nach dem
»Anschluss« Österreichs beauftragt, in Wien im Rahmen
einer sogenannten »Alt-Aktion« 800 Aquarelle und Zeich-
nungen Rudolf von Alts zusammenzutragen – auch aus
bereits beschlagnahmten Wiener jüdischen Sammlungen
heraus. Circa 100 Werke müssen heute als verschollen gelten.
Ein Teil dieser Werke wurde entweder »sichergestellt« oder
von ihren Eigentümern unter Zwang veräußert – darunter
die letzte, unvollendete Arbeit Rudolf von Alts –, der Erlös
wurde auf Sperrkonten eingezahlt. Ein größeres Konvolut –
darunter viele Zeichnungen – wurde von der greisen Tochter
des Künstlers, Louise Alt, erworben. Alle Ankäufe im Rah-
men der »Alt-Aktion« wurden über Konten Bormanns, genau
genommen über Konten für die Ausstattung der Parteibauten
und des Obersalzbergs, abgerechnet und als »Sammlung
Bormann« inventarisiert. Über 800 Alt-Werke kamen auf
diese Weise zusammen.
Einige dieser Werke stehen nun konkret vor der Restitution,
für andere Teile des Bestandes bleiben weiterhin Lücken in
der Provenienz und viele Fragen ungeklärt. Die Staatliche
Graphische Sammlung München wird diesen Bestand in sei-
ner kunsthistorischen Bedeutung, aber auch seine Geschich-
te und die Ergebnisse der Provenienzforschung in einer Aus-
stellung in ihren Räumen in der Pinakothek der Moderne ab
dem 23. Juli der Öffentlichkeit vorstellen.
© Staatliche Graphische Sammlung München