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aviso 2 | 2018
KUNST = MEDIZIN
COLLOQUIUM
Dr. Rita Marie De Muynck
ist Belgierin und lebt
in München und Schlehdorf am Kochelsee. Studium
der Psychologie und Kommunikationswissen-
schaften in Gent. Promotion in Psychologie und
Philosophie, Forschung in experimenteller
Psychologie und Verhaltenswissenschaften am
Max-Planck-Institut für Psychiatrie, München.
Zahlreiche Veröffentlichungen. Lehrtätigkeit an
diversen Universitäten im In- und Ausland.
Magisterstudium der Freien Malerei und der
Kunstgeschichte an der Ludwig-Maximilians-Uni-
versität (LMU) München.
Zahlreiche Ausstellungen sowie Performances im
In- und Ausland, interdisziplinäre und konzept-
orientierte Großprojekte, z. B. 1998 »KlangNetze«
mit »TranceAktion« in Zusammenarbeit mit
zeitgenössischen Komponistinnen, GALERIE DER
KÜNSTLER, München; 2003 »Synästhetisches
Erleben 1 und 2«, Musiklabor der Hochschule für
Musik und Theater, München; 2011 »Ist die
Zukunft Vergangenheit? Cyborg« an der Platform,
Räume für zeitgenössische Kunst, München.
www.ritademuynck.com© Susanne Hesping
damit auf die Offenheit einer Gesellschaft generell Einfluss nehmen. Sie
ist eine zentrale Kategorie für die Orientierung des Individuums in der
Welt, sowohl in seiner Identität, in seinen sozialen und gesellschaftli-
chen Bezügen als auch für die Deutung der Welt und ihre Wertvorstel-
lungen. Die Kunst öffnet eine Vielfalt tiefer Erlebnisbereiche, die auch
die Grundlage für Empathie als Mitgefühl, Mitschwingen, tieferes Ver-
ständnis von sich selbst und anderen bildet.
Freie Kunst ist ein Gegenpol dazu, was sich in autoritären, geschlos-
senen Gesellschaften abspielt, wo Menschen in Angst verharren, wo
sich Hilflosigkeit mit Rückzug zeigt oder über Ohnmacht zu Wut und
Abwehr führt, zu Feindbildern, Rassismus, Migrantenhass. Diktato-
ren befördern immer Angst und Hass in ihrer gläubigen Masse. Dies
führt zur Führersuche mit dem Universalrezept, Fremde für schuldig
linke Seite
»Wutkuh« (1997, Acryl und Öl auf Leinwand, 200x165 cm). Nach dem
Trance-Erlebnis des »Requiems« von Helga Pogatschar wurde das Bild vom
tagelangen Schreien einer Kuh ausgelöst, deren Kälbchen sehr früh weggenommen
wurde. Hintergrund ist der Beschluss der EU in den 90er-Jahren, zu viele
Kühe durch das Töten von Kälbchen zu verringern. Um den finanziellen Ausgleich
abzuschöpfen, »produzierten« viele Bauern mehr Kälbchen.
oben links
»Ach Ja« (2015, Acryl auf Leinwand, 260x220 cm). Ausgangspunkt
für dieses Bild war ein selbstinduziertes Trance-Erlebnis, basierend auf der
Hypnotherapie von Milton Erickson, die im Gehirn Suchprozesse in Gang setzt, um
Konflikte, Brüche oder Ähnliches zu verbildlichen.
oben rechts
»Zerfetzung« (2003, Stahl, Gips, Papiermache, Webpelz, Acryl,
240x155x125 cm) ist ebenfalls Folge einer Trance. Die Künstlerin verarbeitet hier
das Thema »Rotkäppchen« in einer Urform vor der Grimmschen Märchenfassung.
zu erklären und zu vernichten. Im Zuge von Krieg
und Vertreibung wird immer auch die Kultur der
Besiegten zerstört, ihre Kunst und oft auch ihre
Sprache verboten.
Eine offene Gesellschaft bewahrt ihre kulturelle
Identität mit demokratischen Strukturen und
humanen Wertvorstellungen und entwickelt sich
gleichzeitig weiter. Mehr denn je ist es für unsere
Kultur und Identität in Europa also wichtig, dass
verstärkt Kunsterziehung an Schulen und Universi-
täten praktiziert, Kunstvermittlung in vielfältigen
Formen angeboten, die Wirkung von Kunst wis-
senschaftlich-theoretisch untersucht wird.
Eine Gesellschaft ohne Kultur wäre zum Sterben
verurteilt.