Table of Contents Table of Contents
Previous Page  33 / 52 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 33 / 52 Next Page
Page Background

|33 |

aviso 2 | 2018

KUNST = MEDIZIN

COLLOQUIUM

Dr. Rita Marie De Muynck

ist Belgierin und lebt

in München und Schlehdorf am Kochelsee. Studium

der Psychologie und Kommunikationswissen-

schaften in Gent. Promotion in Psychologie und

Philosophie, Forschung in experimenteller

Psychologie und Verhaltenswissenschaften am

Max-Planck-Institut für Psychiatrie, München.

Zahlreiche Veröffentlichungen. Lehrtätigkeit an

diversen Universitäten im In- und Ausland.

Magisterstudium der Freien Malerei und der

Kunstgeschichte an der Ludwig-Maximilians-Uni-

versität (LMU) München.

Zahlreiche Ausstellungen sowie Performances im

In- und Ausland, interdisziplinäre und konzept-

orientierte Großprojekte, z. B. 1998 »KlangNetze«

mit »TranceAktion« in Zusammenarbeit mit

zeitgenössischen Komponistinnen, GALERIE DER

KÜNSTLER, München; 2003 »Synästhetisches

Erleben 1 und 2«, Musiklabor der Hochschule für

Musik und Theater, München; 2011 »Ist die

Zukunft Vergangenheit? Cyborg« an der Platform,

Räume für zeitgenössische Kunst, Mün

chen.

www.ritademuynck.com

© Susanne Hesping

damit auf die Offenheit einer Gesellschaft generell Einfluss nehmen. Sie

ist eine zentrale Kategorie für die Orientierung des Individuums in der

Welt, sowohl in seiner Identität, in seinen sozialen und gesellschaftli-

chen Bezügen als auch für die Deutung der Welt und ihre Wertvorstel-

lungen. Die Kunst öffnet eine Vielfalt tiefer Erlebnisbereiche, die auch

die Grundlage für Empathie als Mitgefühl, Mitschwingen, tieferes Ver-

ständnis von sich selbst und anderen bildet.

Freie Kunst ist ein Gegenpol dazu, was sich in autoritären, geschlos-

senen Gesellschaften abspielt, wo Menschen in Angst verharren, wo

sich Hilflosigkeit mit Rückzug zeigt oder über Ohnmacht zu Wut und

Abwehr führt, zu Feindbildern, Rassismus, Migrantenhass. Diktato-

ren befördern immer Angst und Hass in ihrer gläubigen Masse. Dies

führt zur Führersuche mit dem Universalrezept, Fremde für schuldig

linke Seite

»Wutkuh« (1997, Acryl und Öl auf Leinwand, 200x165 cm). Nach dem

Trance-Erlebnis des »Requiems« von Helga Pogatschar wurde das Bild vom

tagelangen Schreien einer Kuh ausgelöst, deren Kälbchen sehr früh weggenommen

wurde. Hintergrund ist der Beschluss der EU in den 90er-Jahren, zu viele

Kühe durch das Töten von Kälbchen zu verringern. Um den finanziellen Ausgleich

abzuschöpfen, »produzierten« viele Bauern mehr Kälbchen.

oben links

»Ach Ja« (2015, Acryl auf Leinwand, 260x220 cm). Ausgangspunkt

für dieses Bild war ein selbstinduziertes Trance-Erlebnis, basierend auf der

Hypnotherapie von Milton Erickson, die im Gehirn Suchprozesse in Gang setzt, um

Konflikte, Brüche oder Ähnliches zu verbildlichen.

oben rechts

»Zerfetzung« (2003, Stahl, Gips, Papiermache, Webpelz, Acryl,

240x155x125 cm) ist ebenfalls Folge einer Trance. Die Künstlerin verarbeitet hier

das Thema »Rotkäppchen« in einer Urform vor der Grimmschen Märchenfassung.

zu erklären und zu vernichten. Im Zuge von Krieg

und Vertreibung wird immer auch die Kultur der

Besiegten zerstört, ihre Kunst und oft auch ihre

Sprache verboten.

Eine offene Gesellschaft bewahrt ihre kulturelle

Identität mit demokratischen Strukturen und

humanen Wertvorstellungen und entwickelt sich

gleichzeitig weiter. Mehr denn je ist es für unsere

Kultur und Identität in Europa also wichtig, dass

verstärkt Kunsterziehung an Schulen und Universi-

täten praktiziert, Kunstvermittlung in vielfältigen

Formen angeboten, die Wirkung von Kunst wis-

senschaftlich-theoretisch untersucht wird.

Eine Gesellschaft ohne Kultur wäre zum Sterben

verurteilt.