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Technik nennt sich »Call&Response«: Die Leite-

rinnen der Session sprechen Gedichtzeilen vor und

wiederholen sie anschließend gemeinsammit der

Gruppe. Die Teilnehmer_innen werden immer wie-

der zum Mitsprechen in Sprechchören angeregt,

die aus den Gedichtvorträgen durch rhythmische

Wiederholungen entstehen. Dabei bedienen sich

die Leiterinnen der Arbeitsgedächtnisfunktion

der Phonologischen Schleife nach Baddely. Einfach

gesagt: wenn man eine Telefonnummer genannt

bekommt, z.B. »Nulleinsiebensechszweieins...« hat

man diese Zahlen akkustisch im Kopf, aber nicht

als Ziffern vor sich. Dinge, die gerade eben gesagt

wurden, kannman nun einfach wiederholen, ohne

sie vorher gekannt oder auswendig gelernt zu haben.

peutisches Konzept und nach Fröhlich und Bienstein) zur paraverbalen

und nonverbalen Kommunikation an. Zudem wirkt der vielen Gedich-

ten zugrunde liegende 4/4 Takt beruhigend, weil er dem Sinusrhythmus

des Herzens entspricht.

»Nun habe ich ein besonderes Gedicht mitgebracht! Vielleicht muss-

ten das einige von Ihnen in der Schule lernen!« erklärt Stanze und be-

ginnt zu rezitieren: »Festgemauert in der Erden...« Die beiden jungen

Frauen machen dazu große Gesten, reden laut und deutlich. »...steht

die Form aus Lehm gebrannt!« ruft ein 80-jähriger in die Runde, noch

bevor Stanze und Füg weiter reden können. »Jawohl!« Alle applaudie-

ren, schauen sich an. Dass der ältere Mann, nennen wir ihn Herrn Mei-

er, die Zeilen von Schillers »Die Glocke« so sicher aufsagen kann, hätte

vor 30 Minuten niemand gedacht. Erlernte Gedichte aus der Kindheit

und Jugend aktivieren Erinnerungen.

ALS DER RAUM

in der Pflegeinrichtung sich langsam füllte, merkte

man den Blicken der Teilnehmer_innen an, dass sie nicht so recht wuss-

ten, was auf sie zukommt. Einige nickten erstmal auf ihren Sitzen weg,

andere fragten verwirrt, wo sie denn jetzt seien. Herr Maier hatte gar

keine richtige Lust, überhaupt mitzumachen. Doch als er freundlich von

den Session-Leiterinnen mit Handschlag begrüßt und in die ersten Ge-

spräche verwickelt wird, wird er ruhiger, lässt sich drauf ein, lächelt ein

bisschen unsicher, sagt aber nichts. »Normalerweise redet Herr Maier

kein Wort, nur sehr selten.« sagt eine Pflegerin.

Die folgenden 60 Minuten vergehen wie im Flug. Füg und Stanze re-

zitieren unterschiedliche Gedichtklassiker, immer wieder werden auch

mit den Teilnehmer_innen zusammen Gedichtzeilen gesprochen. Diese

DEMENZPOESIE

®

/KUNSTPOESIE

Pauline Füg und Dr. Henrikje Stanze haben DemenzPoe-

sie

®

/KunstPoesie in enger Zusammenarbeit mit dem Er-

finder Gary Glazner entwickelt, der 2004 das Alzheimer’s

Poetry Project in den USA ins Leben rief. Eine Sitzung

dauert etwa 45 Minuten; üblicherweise können 10–15, in

Ausnahmefällen bis zu 50 Demenzkranke und/oder Men-

schen mit anderen kognitiven und/oder psychischen Ein-

schränkungen teilnehmen. Im Zentrum steht der direkte

Einbezug jedes_r Teilnehmers_in. Die in der Gruppen-

therapie gewährleistete Teilhabe am kulturellen und ge-

sellschaftlichen Leben wirkt der sozialen Isolation so-

wohl der Erkrankten als auch der Angehörigen entgegen.

Deutschlandweit stößt das Projekt DemenzPoesie auf

großes Interesse. Mit den Jahren konnten die Zielgrup-

pen ausgeweitet werden, sodass spezielle Sitzungen

für die Lebenshilfe, AWO, Psychiatrie und Jugendzen-

tren, natürlich auch Schulen, ganz allgemein für Kinder

und/oder für Kinder und dementiell Erkrankte angebo-

ten werden können. In jahrelanger enger Zusammenar-

beit mit dem Museum DASMAXIMUM wurden Sitzungen

von Gedichtvorträgen vor Gemälden und Kunstwerken

weltberühmter Popkünstler erweitert. So wurde aus De-

menzPoesie auch KunstPoesie. Mit ihrem Projekt zur Stei-

gerung der Lebensqualität und zur Gedächtnisrehabilita-

tion für Menschen mit Demenz und anderen kognitiven

und psychischen Einschränkungen sind Pauline Füg und

Henrikje Stanze im Rahmen des bayernweiten Festivals

kunst&gesund beteiligt. Die beiden Entwicklerinnen Pau-

line Füg und Dr. Henrikje Stanze können deutschland-

weit für Vorträge, Gruppentherapiesitzungen – die soge-

nannnten Sessions – und Fortbildungen gebucht werden.

www.demenzpoesie.de www.paulinefueg.de .