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aviso 2 | 2018

KUNST = MEDIZIN

COLLOQUIUM

Weshalb wir uns so oft wie möglich mit Kunst befassen sollten

Rita Marie De Muynck war früher verhaltenswissenschaft-

liche Forscherin, studierte dann Kunst und arbeitet gerade

an einem großen Kunstprojekt, in dem beide Welten, Wis-

senschaft und Kunst, vereint sind.

aviso:

Frau de Muynck, Sie haben als Wissenschaft-

lerin am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München

gearbeitet. Auf welchen Forschungsgebieten waren Sie

tätig?

De Muynck:

Nach dem Studium kam ich von Belgien mit

einem Forschungsstipendium an die Psychologische Abtei-

lung bei J. C. Brengelmann des Max-Planck-Instituts für

Psychiatrie nach München. Ich habe dort saubere wissen-

schaftliche Methodik anwenden gelernt, mit einer experi-

mentellen Arbeit promoviert und mich in der Folge einge-

hend mit der Erforschung und Erprobung komplexer, gezielter

bedingungsverändernder Methoden der Verhaltensänderung

befasst, genauer gesagt mit der Entwicklung und Überprü-

fung des Assertiveness-Training-Programms ATP und den

dafür erforderlichen Messmitteln. Das war eine sehr erfül-

lende Aufgabe.

aviso:

Dennoch haben Sie sich dafür entschieden, Künstlerin

zu werden. Wie kam es dazu?

De Muynck:

Soweit ich denken kann, hat mich immer Neu-

gierde und der Wunsch nach Erkenntnis stark angetrieben:

Verzauberung und Staunen über die Phänomene der Welt

und die Frage, wie funktioniert das eigentlich? Schon bei

der Auswahl meines Studiums stand ich an einer Gabelung:

Kunst oder Psychologie. Ich entschied mich für letzteres,

wenngleich beides damals keine großen Zukunftschancen zu

haben schien. Während meiner wissenschaftlichen Tätigkeit

teilten wir lange Jahre mit meinem Schwager und meiner

Schwägerin Robert und Almut Gernhardt in der Toskana

ein Haus. Durch sie wurde ich intensiv mit Kunst konfron-

aviso Gespräch mit

Rita Marie De Muynck

tiert. Ich beschloss den radikalenWechsel, verließ die Höhen

der Wissenschaftswelt, um Freie Malerei zu studieren. Nun

hatte ich die Seiten gewechselt.

aviso:

Wie hat sich damit Ihre Sicht auf die Welt verändert?

De Muynck:

Mit der eigenen Kunstpraxis begann für mich eine

vollkommen neueWelterfahrung. Was ich vorher über wissen-

schaftliche vorgegebene Begriffe, Kategorien undMethoden,

erfuhr, gestaltete sich nun über die Kunst auf einem anderen,

freieren, bildnerischenWeg – jenseits der Worte. Ich bin jetzt

Subjekt. Leiden, Schmerzen, Wünschen, Träumen, Verletzun-

gen, höchster Freude, Ängsten, Flucht, Abgründen begegne

ichmit offenemVisier und suche für mich adäquate sinnliche,

künstlerische Ausdrucksformen. Ich beginne den Spruch:

»Die Künstler sind nicht die Ärzte, sie sind der Schmerz«

in all seinen Facetten zu verstehen. Ich befinde mich hier in

einer übrigens 64 .000 Jahre alten Tradition und begreife

nun, dass Kunst ein zentraler Pfeiler in der Gesellschaft ist.

aviso:

Und doch gibt es für Sie weiterhin Gelenkstellen zwi-

schen Psychologie und Kunst…

De Muynck:

O ja! In der Kunst kommen mir Methoden aus

meiner psychologischen Forschung zugute. Sie erlauben mir

in die Tiefe zu gehen, das sog. Numinose – Träume, Trance,

experimentelle Bildfindungen – zu erkunden, über die Intro­

spektion die Welt in ihren Brüchen zu erfahren und aus-

zuweiten. Besonders begann ich mich für Synästhesien,

vor allem das Farbenhören, zu interessieren. Synästhe­

sien sind keine klanglichen Assoziationen, wie sie beim

Musikhören entstehen können, sondern finden in einer tie-

feren Gehirnschicht statt. Etwa 5% der Bevölkerung sind

angeborene Synästhetiker. Um die Wahrnehmungserwei-

terung für die Bildfindung zu befördern, entwickelte ich

die Idee, dass Synästhesien, die auf der Schnittstelle zwi-

schen Neocortex und Limbischem System stattfinden, sich

Bringen Sie Ihr Gehirn

öfter mal ins Museum