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aviso 2 | 2018
KUNST = MEDIZIN
COLLOQUIUM
KREATIVER AUSDRUCK IST
ein natürlicher Weg, Stress und negative Emp-
findungen auszuleiten und damit für die Psyche unschädlich zu machen.
Man kann ihn mit einem angeborenen seelischen Reinigungsprozess
vergleichen, der die psychische Selbstregulation aktiviert und so das
seelische Gleichgewicht wieder herstellt.
Hierzu ein Beispiel: Ein Junge sieht einen zotteligen Hund, den er
besonders süß findet. Er läuft auf ihn zu, um ihn zu streicheln. Viel-
leicht ist seine Handbewegung etwas zu schnell, vielleicht ist der Hund
nervös. Der Hund schnappt zu und beißt den Jungen in die Hand.
Der Junge ist sehr erschrocken und läuft voller Angst so schnell er
kann davon. Der Hund folgt ihm eine Weile und lässt dann von ihm ab.
Zuhause angekommen verzieht sich der Junge in sein Zimmer, setzt sich
an den Tisch, nimmt seine Malkreiden und einen Block und malt den
Hund mit übergroßemMaul und gebleckten Zähnen. Danach fühlt er
sich besser. Er wirft die Zeichnung in eine Ecke seines Zimmers, rennt
laut bellend hinaus und bedroht seine kleine Schwester mit aufgeris-
senem Mund und gebleckten Zähnen.
DIESER JUNGE HAT
soeben instinktiv eine »Kunsttherapie« an sich selbst
vollzogen. Indem er malte, was ihn erschreckte, distanzierte er sich
gleichzeitig davon. Der Akt des Malens holte ihn aus der Rolle des Opfers
und ließ ihn sein Erlebnis aktiv verarbeiten. Angst und Schrecken fielen
dabei von ihm ab und während er das bedrohliche Maul überdimensio-
nal zeichnete, fühlte er sich plötzlich selbst so stark wie der Hund. Statt
z. B. Angst vor allen Hunden zu entwickeln, identifizierte er sich mit
demAngreifer. Indem er ihnmalte, machte er sich dessen Aggressivität
zu eigen, statt sie als etwas zu speichern, das zu fürchten ist.
Der künstlerische Ansatz in der Kunsttherapie
Solche Prozesse zu aktivieren, zu unterstützen und zu fördern ist ein
wichtiger Bestandteil von Prophylaxe und Therapie. Dies kann durch
ein aktives, künstlerisch-bildnerisches Angebot im Atelier geschehen.
Manchmal reicht jedoch der kreativ-bildnerische Prozess allein nicht
aus, um die Selbstregulation zu aktivieren und das psychische Gleich-
gewicht (wieder)herzustellen. Dann sind begleitende gezielte therapeu-
tische Interventionen notwendig. Dabei besteht in der Kunsttherapie
die Tendenz, nicht das Problem in den Vordergrund zu stellen, sondern
Ressourcen und Resilienz. Diagnosen sind dann nicht an Krankheit
und Mangel orientiert, sondern an den gesunden Persönlichkeitsantei-
len, die im kreativ-therapeutischen Prozess gestärkt werden und somit
Schwäche und Störungen überwachsen. Das ermöglicht den Gestal-
tenden, ihre Ideen eigenverantwortlich und autonom darzustellen. Sie
finden einen neuen Zugang zu sich selbst und ihrem inneren Potential,
entdecken neue Formen der Verarbeitung ihrer Probleme, die sie nicht
als Patienten stigmatisieren, sondern in ihrem schöpferischen Potential
sichtbar werden lassen. Symptome werden im kreativen Prozess ver-
wandelt und werden zu künstlerischem Ausdruck. Gleichzeitig treten
Klienten und Patienten durch die bildnerische Arbeit aus ihrer Isolie-
rung heraus, kommen in Kontakt mit Betrachtern und Mitarbeitern.
Zudemwerden sie mit ihrer eigenen Geschichte konfrontiert, die ebenso
Teil der Bilder ist wie die Gegenwart und die auf diese Weise korrigiert
machen
oben
Mit seinem Bild im Gespräch.