aviso - Zeitschrift für Wissenschaft und Kunst in Bayern - page 13

aviso 3 | 2014
Bayern-Südtirol
Colloquium
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Dr. Angelika Fleckinger
ist Direktorin des
Südtiroler Archäologiemuseums.
Die Ausstellung
»Ötzi 2.0 – Neues von der Eismumie«
läuft noch bis zum
31. August 2014 in der Archäologischen Staatssammlung München.
Zellkern-Genoms zu isolieren. Die Analyse ergab detaillierte Informa-
tionen zu Ötzis Aussehen und Körperfunktionen, neue Einblicke in
seine Herkunft und Abstammung sowie Hinweise auf Erkrankungen
und Krankheitsanlagen. So zeigte die genetische Untersuchung, dass
Ötzi braune Augen hatte und keine blauen, wie bisher angenommen
wurde, und dass er der Blutgruppe 0 positiv angehörte.
Laktoseintoleranz und Borreliose
Überraschend war, dass der Mann aus demEis einige genetisch bedingte
Krankheitsanlagen in sich trug. Insbesondere ein stark erhöhtes Risiko
für Herz- und Kreislauferkrankungen, die ihn möglicherweise anfällig
für einen Herzinfarkt oder Gehirnschlag gemacht hätten, wäre er nicht
durch den Pfeilschuss vorzeitig getötet worden. Zudem belegen seine Gene
auch, dass er laktoseintolerant war, was bedeutet, dass er keinen Milch-
zucker verdauen konnte, wie vermutlich der Großteil seiner Zeitgenossen.
Die Untersuchung des
Gesamterbguts erlaubte auch einen Blick auf
das Y-Chromosom, also das männliche Geschlechtschromosom, das die
männliche Verwandtschaftslinie widerspiegelt und somit Einblicke in
die Bevölkerungszugehörigkeit und Abstammung gewährt. Der Mann
aus dem Eis gehört der sehr seltenen Haplogruppe G2a4 an, die heute
auf dem europäischen Festland sehr selten ist. Lediglich auf Sardinien
und Korsika ist die Ötzi-Haplogruppe noch relativ häufig anzutreffen.
Daraus lässt sich schließen, dass der Mann aus demEis und die Bevölke-
rung Sardiniens und Korsika ursprünglich gemeinsame Vorfahren hat-
ten, die imNeolithikum in Europa eingewandert sind. In weiten Teilen
Europas wurden die Vertreter dieser Gruppe imLaufe der Zeit verdrängt
oder haben sich mit anderen Bevölkerungsgruppen vermischt – nur auf
den isolierten Mittelmeerinseln konnte sich diese ursprüngliche Bevöl-
kerung bis in die heutige Zeit in größerer Zahl halten.
In Ötzis Genom konnten auch Spuren von Borrelien, also von Zecken
übertragene Bakterien, die die Infektionskrankheit Lyme-Borreliose ver-
ursachen, nachgewiesen werden. Diese Entdeckung ist der älteste Beleg
für Borreliose überhaupt und zeigt, dass Zecken schon vor 5000 Jahren
eine Gefahr für Menschen und Tiere darstellten.
Viele dieser Forschungsergebnisse
wären vor über einem Jahr-
zehnt undenkbar gewesen und verdeutlichen, dass die wissenschaftliche
Arbeit amMann aus dem Eis noch lange nicht abgeschlossen sein wird.
Technische Möglichkeiten werden neue Fragestellungen aufwerfen und
uns einen noch detaillierteren Einblick in das Leben dieses Mannes geben.
Lange nicht alle Geheimnisse umÖtzi sind gelüftet und laden die Besu-
cherinnen und Besucher in Bozen und noch bis Ende August in Mün-
chen ein, ihre eigenen Gedanken einzubringen. Warum war Ötzi unter-
wegs? Warum wurde er getötet? War er alleine? Warum wurde er nicht
beraubt? Fragen, die zeigen, dass hier Archäologie im wahrsten Sinne
des Wortes ein Gesicht bekommen hat undMenschen durch das Schick-
sal eines Einzelnen berühren kann.
links
Ötzi-Rekonstruk-
tion by Kennis (NL).
darunter
Die Mumie
des Mannes aus
dem Eis.
darunter
»Ötzi 2.0 –
Neues von der
Eismumie« – Die
Wanderausstellung
des Südtiroler
Archäologiemuseums.
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