aviso - Zeitschrift für Wissenschaft und Kunst in Bayern - page 12

aviso 3 | 2014
Bayern-Südtirol
Colloquium
Der im Südtiroler Archäologiemuseum (Bozen)
der Öffentlichkeit präsentierte Mann aus dem Eis
gehört zu den bedeutendsten und bekanntesten
Mumien der Welt – aber nicht nur der Körper ist
aufgrund des ausgesprochen guten Erhaltungszu-
stands einmalig, sondern auch die vielen Beifunde
aus organischen Materialien. Seine Bekleidung
und Ausrüstungsgegenstände geben einen bislang
unbekannten Einblick in das Alltagsleben eines
steinzeitlichen Alpenbewohners.
Zahlreiche Teams von
Wissenschaftlerinnen
und Wissenschaftlern haben sich mit Detailfra-
gen zum Leben des Mannes aus dem Eis beschäf-
tigt, Archäotechniker und Archäologinnen und
Archäologen mit der Kleidung und den Ausrüs-
tungsgegenständen und die international renom­
miertesten Forscherinnen und Forscher aus den
unterschiedlichsten Fachrichtungen mit der Unter­
suchung der Mumie selbst: Aber lange nicht alle
Geheimnisse sind gelüftet.
Einblicke in den steinzeitlichen Alltag
In der Wanderausstellung des Südtiroler Archäolo-
giemuseums, die noch bis zum 31. August 2014 in
der Archäologischen Staatssammlung in München
unter dem Titel »Ötzi 2.0 – Neues von der Eismu-
mie« zu sehen ist, werden der Fundkomplex und
die neuesten Forschungsergebnisse in kompakter
und allgemein verständlicher Form vorgestellt.
Auf den ersten
Blick dominieren zwei Materia­
lien das Ausstellungsdesign: Die Kupferoberflächen
symbolisiert die Zeit, in der der Mann aus demEis
gelebt hat, also die Kupferzeit vor über 5000 Jahren –
die Zinkverblendungen das Element »Eis«, das
den Fund über fünf Jahrtausende konserviert hat.
Anhand von digitalen Textpaneelen, Videos, interak-
tiven Stationen und Rekonstruktionen der Mumie
selbst und der Ausrüstung und Bekleidung wird
die Geschichte des Mannes aus dem Eis aufgerollt.
Am Beginn des Rundgangs werden die Besuche-
rinnen und Besucher in die Bergwelt der Ötztaler
Alpen versetzt, die Berge, die dem Mann aus dem
Eis auch den Kosenamen »Ötzi« eingebracht haben.
Alles begann am
19.9.1991, als die Mumie aus
demEis von einemEhepaar aus Nürnberg in einer
Felswanne auf über 3200 m entdeckt wurde. Die
Ausstellung spielt sich weiter über die unglückliche
Bergung, bei der leider kein Archäologe anwesend
war und die sich über Tage hinzog, hin zur Erkennt-
nis, dass es sich hier um die älteste Feuchtmumie
der Welt handelt, die Ötzi schließlich auf die Titel-
blätter internationaler Zeitschriften brachte.
Ein gewaltsamer Tod
Zahlreiche Forschungsergebnisse der vergangenen Jahre fließen in die
Ausstellung ein, angefangen bei den Anomalien, die amKörper festgestellt
werden konnten, die über 50 Tätowierungen oder auch die bisherigen
Untersuchungen zu seiner Ausrüstung und seinen Lebensumständen.
Dabei stoSSen v. a.
die Erkenntnisse rund um seine Todesumstände
auf sehr großes Interesse. 2001 konnte bei der Anfertigung von neuen
Röntgenbildern eine Pfeilspitze in seiner linken Schulter entdeckt wer-
den, die eindeutig belegt, dass Ötzi eines gewaltsamen Todes gestor-
ben ist. Er muss wohl innerhalb von wenigen Minuten verblutet sein.
Bestätigt werden konnte das durch erneute computertomografische
Untersuchungen im Jahre 2005, bei denen deutlich wurde, dass der
Pfeil beim Eindringen in den Körper ein großes Blutgefäß verletzt hat.
Eine Schädelfraktur und eine massive Blutung imGehirn, die zeitgleich
mit der Schussverletzung zustande gekommen sein müssen, bestätigen
zudem den raschen Tod.
Ein Mann auf der Flucht
Bereits vor Jahren konnten mehrere Wunden an der Hand und am
Rücken des Mannes aus dem Eis festgestellt werden. Eine tiefe Schnitt-
wunde zwischen Zeigefinger und Daumen der rechten Hand wurde ihm
mindestens 2-3 Tage vor dem Tod zugefügt, während an der Einschuss-
stelle des Pfeiles keinerlei Heilungsspuren festgestellt werden konnten.
Dennoch ist ein gewisser Zusammenhang der beiden Verletzungen nicht
auszuschließen, zumal die Handverletzung auf einen Nahkampf wenige
Tage vor seinem Tod hinweist. Vermutlich war Ötzi auf der Flucht – ein
Szenario, das auch durch die unvollständige und beschädigte Ausrüs-
tung unterstützt wird. So war etwa die Verstrebung des Köchers gebro-
chen, der Bogen noch nicht fertig gearbeitet und der Kinnriemen seiner
Bärenfellmütze gerissen.
2010 konnte zum
ersten Mal Blut in Form von roten Blutkörperchen
im vermeintlich blutleeren Körper des Mannes aus dem Eis nachgewie-
sen werden. Diese sind in Größe und Form absolut identisch mit heuti-
gen, frischen Erythrozyten. Lediglich von ihrer Elastizität haben sie in
den über 5000 Jahren imEis etwas eingebüßt und sind imVergleich zu
modernen Proben etwas weicher geworden. Durch den Nachweis von
Fibrin, das sich sehr rasch nach der Blutgerinnung abbaut, im Bereich
der Pfeilwunde konnte zudem eindringlich bestätigt werden, dass der
Mann aus dem Eis die Pfeilschussverletzung nicht lange überlebt hat.
Die letzte Mahlzeit: Steinbockfleisch
Bei einer wiederholten Auswertung der radiologischen Aufnahmen des
Mannes aus dem Eis wurde Ötzis Magen identifiziert, der entgegen frü-
herer Annahmen mit Speiseresten gefüllt war. Analysen zeigen, dass
seine letzte Mahlzeit, die er wohl höchstens eine Stunde vor seinemTod
zu sich genommen hat, aus einer Mischung aus Steinbock- und Hirsch-
fleisch mit einem hohen Fettanteil und Getreide bestand.
Um einen detaillierten
Einblick in das Erbgut des Mannes aus dem
Eis zu erhalten, wurde im Labor für alte DNA des Instituts für Mumien
und den Iceman an der EURAC (Bozen) eine Knochenprobe des Man-
nes aus dem Eis ausgewertet. Dabei ist es erstmals gelungen, 96% des
© Südtiroler Archäologiemuseum/Augustin Ochsenreiter | Südtiroler Archäologiemuseum/Eurac/Samadelli/Staschitz | Siegfried Brugger/MuseumsPartner
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