Table of Contents Table of Contents
Previous Page  40 / 52 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 40 / 52 Next Page
Page Background

|40|

aviso 2 | 2018

KUNST = MEDIZIN

COLLOQUIUM

Pauline Füg

ist Diplom-Psychologin, Autorin und Poetry

Slammerin.

Dr. rer. biol. Hum. Henrikje Stanze

ist in der palliativ-

medizinischen Wissenschaft promovierte Diplom-Berufspäda-

gogin mit Fachrichtung Pflegewissenschaft und Autorin.

ZUM ABSCHLUSS FRAGT

Stanze: »Haben Sie Lust, ge-

meinsam mit uns ein Gedicht zu schreiben?« Sie blickt in

die funkelnden Augen der Rentner_innen. Einige nicken

begeistert. Füg stimmt ein: »Was ist denn Ihr Lieblingsge-

richt, Herr Maier?« »Was ich gern esse? Da muss ich viele

Jahrzehnte zurückdenken und in den Jahren hatte ich vie-

le Lieblingsessen.« Während Füg die Session-Teilnehmer_

innen in Gespräche über leckere Speisen verwickelt, schreibt

Stanze mit. Wer nicht sprechen kann oder will, wird mit

einbezogen, manchmal gibt es ein zustimmendes Brummen

oder ein Kopfschütteln, es wird viel gelacht. Als das Gedicht

fertig ist und Stanze vorträgt, was sie aus den Impulsen der

Senioren Lyrisches »gebastelt« hat, sind alle begeistert. So

oder so ähnlich läuft eine DemenzPoesie-Session ab und so

oder so ähnlich, in jedemFall voll neuer Eindrücke und mit

viel Zufriedenheit, hinterlässt eine solche Session die Teil-

nehmer_innen. Besonders die Improvisationsgedichte, die

den eigenen Ausdruck und die individuelle Sichtweise auf

dieWelt in den Fokus stellen, sind ein Kernstück der Sitzun-

gen. Sie werden immer wieder neu individuell mit den Teil-

nehmer_innen und Angehörigen in der Gruppe erarbeitet.

»Kommen Sie bald wieder?« sagt Herr Maier, als die Session

vorbei ist. Er winkt den beiden jungen Frauen mit der Ger-

bera in der Hand glücklich zu. Seine Tochter erzählt später:

»Danach ist er sogar noch freiwillig bei der Zeitungsrunde,

die imHeim angeboten wird, geblieben. Das macht er sonst

nie. So offen wie heute Nachmittag hab ich meinen Vater

lange nicht mehr gesehen.«

Liebe geht durch den Magen

Schokolade kann man nicht kochen.

Was mein Lieblingsessen ist?

Mit 92 muss man bis 1920 zurückdenken.

Ich habe seit 1920 viele Lieblingsessen gehabt.

Gemüse mag ich nicht.

Ich habe oft gesagt »Das mag ich nicht«,

aber ich bin trotzdem groß geworden.

Ich möchte »Himmel und Erde« kochen und

»Lippischen Pickert«.

Ich brauche Kartoffeln, Hefe, Wasser, Mehl,

Rosinen und Eier.

Aber wenn es nach Speck und Zwiebeln duftet,

dann sitze ich mit Oma in der Küche.

Am schönen weißen länglichen Küchentisch aus Holz.

Ich koche, was die Herren des Hauses wollen.

Was ist dein Lieblingsessen?

Ich esse Ländliches und Feines.

Zweierlei.

Ich bin der Kommandeur beim Kochen.

Vor allem im Winter.

Denn Liebe geht durch den Magen,

auch wenn die Milch anbrennt und der Wasserkessel pfeift.

(Gruppengedicht zum Thema »Was ist dein Lieblingsessen?«,

entstanden in einer Session im Historischen Museum Bielefeld)