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aviso 2 | 2018

KUNST = MEDIZIN

COLLOQUIUM

© Alle Abbildungen zitiert aus A. H. Murken: »Joseph Beyus und die Medizin«, Münster 1979, Nordhalle und John Chamberlain, BURNTPIANO, um 2007, (c) VG Bild-Kunst, Bonn 2016, Foto Franz Kimmel

BL:

Im vielgestaltigen, teils performativenWerk von Joseph

Beuys ist auch der Künstler selbst als Akteur beteiligt. Da-

bei verbindet er über Kulturen hinweg Positionen wie zum

Beispiel die von Samariter und Schamane.

AHM:

Es ließe sich bereits in den genanntenWerken durchaus

auch eine überraschende Parallele zum biblischen Gleichnis

des »Barmherzigen Samariters«, das der Apostel Lukas, der

Arzt und Künstler unter den Jüngern Jesu Christi, hinter-

lassen hat, ziehen: Beuys, der in seinen Aktionen und relikt­

haften Objekten metaphorisch Wunden verbindet, tröstet

und Heil spendet. Allerdings hebt er diese berühmte christ-

liche Parabel auf eine ebenso die Seele und Natur einbezie-

hende Ebene. Denn er verbindet die Gestalt des Samariters

symbolisch mit der Rolle des Schamanen, der über spiritu-

elle, wie auch suggestive Heilkräfte verfügt. Dem »beschä-

digten« Leben hat er so ein holistisches, naturphilosophisch

geprägtes Heilkonzept gegenüber zu stellen versucht. Dabei

bezieht Beuys immenschlichenMitleiden auch die Tiere, die

Bäume und die Pflanzen mit ein. Charakteristisch stehen

dafür der Hase und der Elch, die »tränenden Herzen« und

der Ginkgobaum als symbolträchtige Naturwesen. Sie waren

für Beuys, wie es in den Naturreligionen und imAnimismus

bereits vorgegeben ist, beseelt und leben in einer natürlichen

Symbiose zusammen.

Beuys hat in seinem spektakulären Aktionen wie »Wie man

dem toten Hasen die Bilder erklärt«, (1963) »Manresa« (Igna-

tius von Loyola, 1966) oder »Titus Andronicus, Iphigenie«

(1969) nicht selten die Rolle eines schamanistischen oder

mythischen Führers eingenommen, der selber bekehrt und

geheilt worden ist. Auf diesem metaphorischen

Weg verweist er auf eine Welt, in der die physischen

und metaphysischen Elemente wieder vereint sind.

Die manchmal erstaunlich überraschende ästhe-

tische und inhaltliche Kombination von schon

vorhandenen Gegenständen zu einem ganz ei-

genständigen Kunstwerk kommt in dem Objekt

»Ich kenne kein Weekend« (1972) beispielhaft

zum Tragen. Es besteht aus einer Volksausgabe

des berühmten Werkes von Immanuel Kant

(1724–1804) »Kritik der reinen Vernunft« und

dem Readymade einer Maggiflasche. Ein han-

delsübliches Gewürzfläschchen, das nach der Idee

des Schweizers Johann Maggi (1846–1912) eine

schmackhafte, belebende Essenz enthält, die auf

den aromatischen Blättern und Blüten der Lieb-

stöckelstaude aufbaut, wird der epochemachenden

Transzendentalphilosophie des Königsberger Phi-

losophieprofessors für Logik und Metaphysik in

einer populären gelben Volksausgabe des Reclam-

Verlages gegenübergestellt. Das »natürliche« und

das »geistige« Lebenselexier strahlen in diesem

Objekt eine positive »Energie« aus. Beispielhaft

verkörpern sie das heilende »Prinzip Hoffnung«,

das der studierte Mediziner Friedrich Schiller in

einem seiner schönsten Gedichte »Die Hoffnung«

umschrieb.

BL:

Worauf beruht nun dreißig Jahre nach dem

Tod von Joseph Beuys die nicht nachlassende Fas-

zination seines Werkes? Und welchen Anteil hat

daran der Einfluss der Heilkunde auf seine viel-

schichtige Ideenwelt?

AHM:

Blickt man noch einmal zurück, so haben

die von Joseph Beuys in seinem Schaffen immer

wieder versinnbildlichten elementaren Situationen

des menschlichen Lebens von Geburt, Krankheit,

Schmerz und Tod schon vom Thema und Motiv

her eine gewisse Nähe und Ähnlichkeit mit der

ärztlichen Tätigkeit. Dabei muss man bedenken,

dass seinWerk umfassend darauf ausgerichtet ist,

ein Gesamtbild des menschlichen Denkens, Wis-

sens und Handelns anzustreben. Deshalb kann

man die heilkundlichen Aspekte kaum aus ihrer

Vernetzung mit den philosophischen und wissen-

schaftshistorischen Bereichen im künstlerischen

und geistigen Kosmos von Joseph Beuys lösen.

oben

Buchumschlag A. H. Murken: »Joseph Beuys und die Medizin«,

Münster 1979.