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aviso 4 | 2017

GLAUBEN UND GLAUBEN LASSEN

AVISO EINKEHR

Klause mit einer mächtigenMarmorsäule und einemmarkanten Kreuz-

gewölbe. Hier kann man sich bildhaft vorstellen, wie es bei der Graf-

schen Firmung »recht esserisch« zugegangen ist, als die Buben ihre

Laugenbrezen hinuntergewürgt und so herzhaft in ihre Weißwürste

gebissen haben, dass »der Wurstsaft dem Lechner von Aufhausen ins

Gesicht gespritzt ist.«

DEN GRUNDSTEIN FÜR

die heutige Wolfratshauser Wirtedynas-

tie legte Hans Fagner 1912, als er das Anwesen für 101.292,46 Gold-

mark kaufte. Heute führen Otmar Fagner und seine Ehefrau Luxi die

Geschäfte, mit Sohn Benedikt steht bereits die 5. Generation amHerd.

Zum Familienbetrieb gehören neben Schwester Marlene auch die 81-jäh-

rige Seniorchefin Zilla Fagner, die noch täglich nach demRechten schaut

und hilft, wo sie gerade gebraucht wird. Sie ist Wirtin mit Leib und

Seele – »und oft auch Pfarrer«, sagt sie schmunzelnd, wenn sie daran

denkt, was ihr so mancher Gast zu vorgerückter Stunde schon alles

gebeichtet hat. Als Biermadl fing sie einst inMünchen an und heiratete

später in den Humplbräu ein. Ob Schützen oder Gendarmen, Turner

oder Trachtler, Flößer oder Feuerwehrler, Sozis oder Schwarze – sie

alle sitzen gern am Stammtisch, wenn Zilla Fagner Geschichten aus

der Stadt und aus ihrem Leben erzählt.

Geschichten vom Bierpreis zum Beispiel, als im Jahre 1516 die Maß in

Wolfratshausen von Michaeli (29. September) bis Georgi (23. April)

nicht mehr als einen Pfennig kosten durfte. Bis zum Ersten Weltkrieg

stieg der Preis dann auf 24 Pfennige. Die Getränke werden übrigens

nach wie vor im historischen Bierkeller gekühlt. Er stammt aus einer

Zeit, als »imHumpl« noch Bier gebraut wurde: zunächst nur ein brau-

nes Gerstenbier, später dann auch ein Weißes (Helles) und ein Wei-

zen. Allein im Jahre 1803 erzielte der Humplbräu einen Ausstoß von

77 040 Liter. Die Loisachstadt war früher nämlich nicht nur eine Flö-

ßer-, sondern auch eine Bierstadt. Bis zu 13 Brauereien gab es am Ort,

und ihre Geschichte reicht bis ins 15. Jahrhundert zurück. Ein Erlass

von Herzog Albrecht IV. hatte 1474 der Gemeinde das Recht gewährt,

für Bier, Wein undMet ein »Ungeld«, also eine Art Getränkesteuer, zu

erheben. Auch die Brauer verdienten am Durst und wurden zu wohl-

habenden und angesehenen Leuten, die bei der Fronleichnams- und

Sebastianiprozession hoch zu Ross mitritten. Nach dem Motto »Was-

ser macht durstig« zählten übrigens die Floßknechte zu ihren treuen

und trinkfesten Stammkunden. 1909 stellte dann der Humplbräu als

letzte Wolfratshauser Braustätte das Biersieden ein.

ALS NACHTISCH MÜSSEN

wir uns aber unbedingt noch den ful-

minanten Höhepunkt der Grafschen Firmungsvöllerei gönnen: »Ge-

bampft und geschmatzt haben sie auf Hautsdrein und schon ganz alert

und frech wie Mannsbilder ihre vollenMaßkrüge angesetzt. Schier die

Augen hat es ihnen beim Trinken herausgetrieben, und ihre Gesichter

sind vom schnellen Hineinwürgen der Würste und Laugenbrezen ganz

schwitzglanzig geworden.«Während die Firmlinge damals reihenweise

unterm Tisch lagen, braucht man heute nur durch das denkmalge-

schützte hölzerne Treppenhaus hinauf ins Hotelzimmer zu steigen, um

nach Speis und Trank den Anziehungskräften der Bettschwere zu er-

liegen. Zuvor sollte man aber schnell noch einen Blick aus dem Fenster

auf die historischen Häuserzeilen von Wolfratshausen werfen, auf das

Loisachufer und auf die Pfarrkirche St. Andreas, wo einst die Grafsche

»christkatholische Firmung« ihren verhängnisvollen Anfang nahm. Als

literarisches Betthupferl gibt’s dann einen kulinarischen Wunsch, der

EINKEHR

D I E S C H Ö N S T E N D E N K M A L G E -

SCHÜTZTEN WIRTSHÄUSER UND GAST-

HÖFE IN BAYERN SIND (NOCH) NICHT

SO BE K ANN T W I E V I E L E UNSER ER

SCHLÖSSER, BURGEN UND KIRCHEN.

DAS MUSS SICH ÄNDERN! IN »

aviso

EINKEHR« STELLEN WIR IHNEN DES-

HALB DIE SCHÖNSTEN KULINARISCH-

BAVARISCHENMUSENTEMPEL VOR: ALLE

RESPEK TABLE UND AUTHENT I SCHE

ZEUGNISSE UNSERER REICHEN BAU-

KULTUR UND: IN ALLEN KANN MAN HER-

VORRAGEND ESSEN, IN MANCHEN AUCH

ÜBERNACHTEN.

Wegbeschreibung

Auf der A95 Ausfahrt Wolfratshausen, der Aus-

schilderung zur Altstadt folgend, liegt der

Humplbräu direkt neben der kath. Pfarrkirche

am Obermarkt 2.

Auf der A8 Ausfahrt Sauerlach, der Ausschilderung

nach Wolfratshausen folgen, dann Richtung Altstadt.

Mit der S7-Bahn von München bis zur Endstation

Wolfratshausen, zu Fuß sind es dann ca. 10 Minuten

auf der Bahnhofstraße stadteinwärts.

Hotel-Gasthof Humplbräu

Familie Otmar Fagner

Oberma

rkt 2 | 82515 Wolfratshausen

Tel. 08171 . 483

29-0 | Fax 08171 . 48329-13 post@humplbr aeu.de | www.humplbraeu.de

dem Lechner von Aufhausen in den Mund gelegt

wurde: »Jaja, Buabn, freßt’s und sauft’s nur, daß

z’a Flaxn kriagts!«

Wer sich Oskar Maria Grafs deftige Erzählung

noch einmal auf der Zunge zergehen lassen will,

der findet sie in dem Band »Größtenteils schimpf-

lich. Von Halbstarken und Leuten, welche diesel-

ben nicht leiden können.«

Dr. Sybille Krafft

, Historikerin und BR-Autorin,

spürt in ihren zahlreichen Filmen, Ausstellun-

gen und Büchern als »Chronistin des Wandels« den

Veränderungen unserer Lebenswelt nach. Den

Umgang von Menschen mit historischen Bauten por-

trätiert sie in ihrer legendären BR-Reihe »Leben

mit einem Denkmal« und wurde dafür 2011 mit dem

Denkmalpreis des Deutschen Nationalkomitees

für Denkmalschutz ausgezeichnet. 2017 erhielt sie

die Bayerische Denkmalschutzmedaille für ihre

Berichterstattung zu Baukultur und Denkmalpflege

im Bayerischen Rundfunk.