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EIN ANTIQUARIUM AUSSERHALB MÜNCHENS?

DER SPÄTHUMANISTISCHE SAMMLUNGSKOMPLEX DER UNIVERSITÄT INGOLSTADT

Text:

Claudius Stein

»ANTIKE MÜNZEN, MEERESMUSCHELN,

Fischhäute, Hörner, mar-

morne Statuen, ganze und fragmentarische Büsten, Gemälde, unter-

schiedliche Gemmen, Fossilien, exotische Dinge aus dem Reich der

Natur oder vonMenschenhand, die sich nicht nur bei denMoskovitern

und Türken, sondern sogar bei den entferntesten Indianern in Gebrauch

befinden, als da sind Löffel, Messer, Schirme, Mützen, Panzer, Waffen,

insbesondere Wurfwaffen sowie Dolche und andere antike Stichwaf-

fen der Römer, Sarkophage, Urnen, welche die Asche der Verstorbe-

nen beinhalteten, verschiedene Maße und Gewichte der Griechen und

Römer, alte Codices, Buchmalereien, von den Vorfahren benutzte Bände,

geometrische Beschreibungen«. Diese Aufzählung aus dem Jahr 1572

könnte sich – bei aller Unstrukturiertheit – ohne weiteres auf die Mün-

chener Hofsammlungen Herzog Albrechts V. beziehen. Sie ist jedoch in

Ingolstadt, näherhin an der bayerischen Landesuniversität zu verorten.

Der Augsburger Domherr Johann Egolph von Knöringen (1537–1575),

der zuletzt sogar den Stuhl des Hl. Ulrich bestieg, hatte, völlig getra-

gen von humanistischen Vorstellungen, fast ganz Italien mit seinen

antiken Schätzen durchwandert und dabei seiner äußerst kostspieli-

gen Sammelleidenschaft gefrönt. Um die Rolle Ingolstadts als Hoch-

burg der Gegenreformation zu verstärken, vermachte Knöringen der

Hohen Schule seinen als Werk einer Einzelperson geradezu erstaun­

lichen Objektkorpus. Der Mäzen ließ es aber

damit nicht bewenden, sondern errichtete auch ein

adäquates Stiftungsgebäude und stellte Mittel zur

Pflege wie Ergänzung des Bestands zur Verfügung.

Damit war der Grundstock gelegt für den spät­

humanistischen Sammlungskomplex der Univer-

sität, beinhaltend eine Antikensammlung, die von

den Zeitgenossen in Anlehnung an die Münchener

Parallele »Antiquarium« genannt wurde, eine Bib-

liothek, eine Kunstkammer und eine Silberkammer.

Die signifikanten Übereinstimmungen mit den

Münchener Verhältnissen unter Herzog Albrecht

V. gründen – neben der zeitlichen Koinzidenz und

den personellen Verflechtungen – in der räumli-

chen Unterbringung, in der Sammlungsstruktur

und in der juristischen Disposition.

EIN ZWISCHENFAZIT: KUNST-

und Naturalien-

sammlungen lassen sich an den Universitäten Ita-

liens, das in so vielen Bereichen eine Führungsrolle

spielte, erst seit dem frühen 17. Jahrhundert nach-

weisen. Knöringens Stiftungswerk rangiert somit

als singulärer, bisher als solcher nicht erkannter

Vorläufer italienischer Kulturstadien in den also

doch nicht so stark vomKulturgefälle betroffenen

deutschen Landen.

So vielversprechend sich auch die Ingolstädter

Anfänge gestalteten, so niederdrückend verlief

die weitere Entwicklung: Bereits 1576 kaufte

Albrecht V. der Universität zu einem Spottpreis

die Münzen, Medaillen und wohl auch die Gem-

men ab, um sie seiner Kunstkammer einzuver-

leiben. Das Stiftungsgebäude wurde gar 1586/87

abgerissen, um der neuen Jesuitenkirche Platz zu

machen – nur so viel zum Verständnis von huma-

nistischem Kulturgut bei den Jüngern des Ignati-

us von Loyola. Knöringens Objektkorpus wander-

te in das aus spätgotischer Zeit stammende Alte

Kolleg und begann, in Vergessenheit zu geraten.

Lassen wir wieder einen Zeitzeugen zuWort kom-

men, Daniel Papebroch, den seinWeg 1660 auf der

linke Seite

In der Kunstkammer Johann

Egolph von Knöringens befanden

sich nicht nur sein Porträt (links), son-

dern auch das Gipsrelief eines noch

nicht identifizierten Gelehrten aus der Zeit um 1530

(daneben) und der Hut des Ingolstädter Luther-Gegners

Johann Eck (darunter).