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nicht. Die eigentliche Vertonung ist dann für mich eine Trans­

kription der Deklamation des Textes, die auf der gefundenen

Klanglichkeit aufbaut.

Kannst du den besonderen Zusammenhang zwischen

Text und Komposition in deinen Stücken charakterisieren?

Johannes X. Schachtner: Der Text ist die Inspirationsquelle und

hat sehr großen Einfluss auf die Ästhetik; auch die Dramaturgie

und der Rhythmus lassen sich davon ableiten. Ich versuche, mit

allenmusikalischen Parametern demText gerecht zuwerden; es

geht für mich in erster Linie darum, mit derMusik eine persön-

liche Interpretation des Textes zu liefern. Spannend ist es, wenn

der Text aber nur als Folie imHintergrund bleibt wie z. B. bei der

Burleske

Jägarna på Karinhall

oder dem

Monolog für Posaune.

Aber auch hier bleibt die Musik dem Ton und der Aussage des

Textes verpflichtet bzw. arbeitet sich daran ab.

Ausbeutung, Krieg, Nationalsozialismus – welche Bedeutung

haben Geschichte und Politik für deine Arbeit als Komponist?

Johannes X. Schachtner: Die Beschäftigungmit Politik und ins-

besondere mit Geschichte bestimmt sehr stark mein Denken.

So denke ich schon, dass es auch den Blick zurück auf die Mu-

sikgeschichte prägt und das hat sicher wieder Auswirkungen

auf meine eigenen Arbeiten. Auch wenn natürlich kein Ton

»politisch« sein kann, so hoffe ich aber doch, dass Musik da-

zu beitragen kann, anders, tiefer über die Welt nachzudenken.

Nächstes Jahr begehen wir Beethovens 250. Geburtstag und

gerade dieser Komponist zeigt uns, wie man mit Töne Utopien

erschaffen kann.

Form und Inhalt bilden in den Künsten eine Einheit. Literatur

stellt über die Sprache eine Verbindung zwischen Empfinden

und Denken her. Was kann nach deiner Auffassung die Musik,

was die Literatur nicht kann?

Johannes X. Schachtner: Da Musik einen genauen Zeitablauf

vorgibt, so wirkt natürlich Musik zwangsläufig anders und di-

rekter als ein Gemälde oder Literatur auf den Rezipienten. An-

dererseits kannMusik viel subjektiver wahrgenommenwerden,

selbst im Vergleich zu abstrakter Lyrik. Ein Wort – bei aller

Vieldeutigkeit und Kontextualisierung – ist immer der Träger

einer Bedeutung für denjenigen, der diese Sprache beherrscht.

In der Musik kann ein Klang für zwei Menschen, die aus unter-

schiedlichen Kulturen kommen, dieselbe Aussage haben, aber

ein Dritter hört darin etwas ganz anderes.

Die Möglichkeit, Dinge auszudrücken, ohne sie benennen zu

müssen – das reizt mich besonders am Komponieren.

Der Komponist und Dirigent Johannes X. Schachtner

und der Schriftsteller Norbert Niemann kennen

sich seit ihrem gemeinsamen Jahr 2009/2010 in

Bamberg als Stipendiaten der Villa Concordia.

Seither haben sie immer wieder zusammengearbeitet:

2009 bei Schachtners Kurzoper

Hannah und

Tim,

für die Niemann das Libretto schrieb, oder wie

jüngst die im Rahmen des aDevantgarde Festivals

2019 in München zum 100. Jahrestag der Ausrufung

des Bayerischen Räterepublik uraufgeführte Text/

Musik:

Politisch Lied: Im Scheißhaus,

in dem ein

wiederauferstandener Oskar Maria Graf dem

Publikum ins Gewissen redet (Sprecher: Stefan

Hunstein / Ensemble Zeitsprung). Niemann, der

auch Musikwissenschaftler ist, hat den Begleittext

zu Schachtners CD

Works for Ensemble

von 2016

verfasst. Für Aviso hat er drei Solostücke von

Schachtners kürzlich erschienener CD

Sammelsu-

rium. Musik für Blech & Tasten

ausgesucht und

den Komponisten dazu befragt. Zum Nachhören:

jpc.de/jpcng/classic/detail/-/art/sammelsurium/ hnum/9363091

Sammelsurium. Musik für Blech & Tasten

Foto: Dora Drexel