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Über, in und um die Künste –

Nora Gomringer meint

Nora Gomringer, Schweizerin und Deutsche, lebt in Bamberg. Sie

schreibt, vertont, erklärt, souffliert und liebt Gedichte. Alle Mündlich-

keit kommt bei ihr aus dem Schriftlichen und dem Erlauschten. Sie

fördert im Auftrag des Freistaates Bayern Künstlerinnen und Künstler

internationaler Herkunft. Dies tut sie im Internationalen Künstlerhaus

Villa Concordia. Und mit Hingabe.

nora-gomringer.de

Kunst! Du!

Kunst! Du!

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

inder zweitenKlassenahmich aneinemschulischenVorle-

sewettbewerb teil und gewannmit

Ätze, das Tintenmonster

von Ursel Scheffler den ersten Preis. Der Text war lustig,

frech und ironisch, genau das Gegenteil der anderen vor-

gelesenenTexte.Mit sieben Jahren alsowusste ich, dass ich

mit meiner Stimme, meiner Art aufzutreten und etwas zu

interpretieren, für mich einnehmen konnte. Das war mir

wichtige Information, denn schon ein paar Jahre später

zeichnete sich fürmich kein ganz reguläres Leben ab. Eine

künstlerische Karriere wurde denk- und greifbar, hätte

aber letztlich nicht gezündet, wären nicht immer wieder

Jurys, Einzelne, Begeisterte auf mich aufmerksam gewor-

den. Außerdem erzähle ich aus einer Warte des Privilegs

heraus. Ich hatte und habe Eltern, die mich für Fleiß und

Ausdauer inSachenKunst undKreativität lobtenundmei-

ne nur mittleren Schulnoten in den Wissenschaften mit

mir durchlitten. Das war wohl früheste Förderung, die ich

erfahren habe: Ermunternde Eltern.

Wenn sich abzeichnet, dass junge Leute besondere kreati-

ve Talente besitzen, gehenGesellschaften unterschiedlich

damit um. Zwar werden die Jugendlichen in der Regel für

gutes Zeichnen, schönes Singen, gewinnendes musikali-

sches Spiel gelobt, aber baldkommt auchder »Riegel«, der

aus den Worten »für’s Leben musst Du aber etwas Rich-

tiges wählen« besteht. Es gibt wenig Zutrauen in künstle-

rische Karrieren, vor allem, wenn sie am Entstehen sind,

allerdings auch, wenn sie mitten am Laufen sind und nur

wenige Künstlerinnen und Künstler kennt man, die ihren

Lebensweg rückblickend empfehlen und nach außen auch

propagieren. Eher wird der prekäre Status Quo imLeben

vieler zumThema künstlerischer Auseinandersetzung.

Junge Künstlerinnen und Künstler, egal ob sie in der Li-

teratur, der Musik, dem Tanz, der Bildenden Kunst ver-

suchen, Relevanz zu erzeugen, brauchenAugenmerk, gute

Arbeitsbedingungen, ummit derWelt verbunden zu sein.

Ateliers, PublikumundRäume, vor allemPreise undAus-

zeichnungen, Gesprächsmöglichkeitenmit »altenHasen«

ihres Faches und funktionierende Presse. So kannmit der

Zeit erst einmalWerk entstehen, für das es dannAnerken-

nung geben kann.

Förderungen haben verschiedene Formen: Auslandsein-

ladungen, reineGeld- oderAufenthaltsstipendien, tatsäch-

liche Preise werden punktuell und oft mit Tamtam und

eher rückwirkendverliehen.Dennoch: Preise sindwichtig.

Sie schenken Anerkennung durch Fachleute und bestäti-

gen die eigene Position. Auch gibt es Unterstützung für

ein noch zu gestaltendesWerk, oft ist dies Förderung, die

einem einzelnen Künstler in der Tat helfen kann, obwohl

ich persönlich amProjekt-Charakter vieler Anträge Zwei-

fel habe. Projekte, die thematischvomFörderer ausgerufen

werden und auf die hin Künstlerinnen und Künstler aktiv

werden, sind letztlich oft wieder Entfernungen vomKern

der eigentlichenArbeit, die sichderKünstler, dieKünstle-

rin selbst gewählt hat. Das ist dieKrux. JedeAuftragsarbeit

trägt zur Ernährung bei, ist aber letztlich nicht das, was

unter genuinem, eigenständigemWerk verstanden wird.

Künstler, die gut verdienen, weil sie in der Lage sind, ihre

Talente fürVerschiedenes einzusetzen, stehen raschunter

»Popularitätsverdacht«.

Wir alle kennen die Geschichten von Künstlerinnen und

Künstlern, die erst posthum zu Ruhmgelangten und zeit-

lebens darbten. Es ist gut, dass es einSystemderUnterstüt-

zung undWertschätzungs-Maßnahmen gibt.Wirmüssen

es nur pflegen, an Bedürfnisse der Menschen immer wie-

der anpassen und Kunst nicht als immerwährendes sub-

ventionsbedürftiges Geschäft ansehen, sondern als große

Investition.

Nora-Eugenie Gomringer, September 2019

Foto: Judith Kinitz