|50|
aviso 1 | 2019
FRAUEN. GLEICHE CHANCEN – ANDERE MÖGLICHKEITEN
EINKEHR
Text:
Heidrun Gehrke
EINE URIGE, ROMANTISCHE
Schönheit ist das
Alte Rathaus in Unterhaid. Hier werden seit vie
len Jahrzehnten Ehen geschlossen und Hochzei
ten gefeiert, die Feuerwehr nutzte einen Raum als
Materiallager und einst befand sich eine Kran
kenstation im ersten Stock. Heute bewirten hier
Christine Günthner und Alexandra Sterzl ihre
Gäste mit Köstlichkeiten aus der fränkischen und
internationalen Küche und mit heimischenWeinen
in der »einzigen Weinanbaugemeinde Oberfran
kens« im »Bierlandkreis Bamberg«, denn hier wird
Weinkultur gelebt, während nur wenige Kilome
ter weiter mainaufwärts eine riesige und weithin
bekannte Brauereidichte floriert.
Schon von außen ein Kleinod: Senfgelbe Fachwerk
balken, gemauerter Sandsteinsockel, vor demHaus
eine stattliche Linde mit dem charakteristischen
Laufbrunnen. Die Wirtsstube präsentiert sich in
ebensolchem prächtigem Zustand: Weiß verputzte
Wände, edle dunkle Einrichtung, viel Holz. Es ist
schön und historisch. Man wandelt in drei Zonen,
wie sie in fränkischen Bauernhäusern häufig anzu
treffen sind, ein Flur in der Mitte, links eine Stu
be, amEnde des Flurs die Küche, rechts die große
Stube, wo bis heute das Standesamt von Oberhaid
ist. BeimBetreten knarzt der glatte und etwas un
ebene Holzfußboden standesgemäß. Die massiven
Balken zeigen Spuren vomHolzwurmbesuch. Im
Nebenzimmer steht ein alter Kachelofen wie zu
Großmutters Zeiten. »Der wechselte ein einziges
Mal den Standort«, sagt Christine Günthner, die
heutige Wirtin, Pächterin und fröhliche Seele des
über 300 Jahre alten Hauses, in dem bis zur An
kunft der Wirtinnen immer die Männer regierten.
Einer von ihnen war der Ortsvorsteher Nikolaus
Hahner, der 1866 für ein zweites Wirtshaus im Ort plädiert hatte –
aus diesem Ansinnen wurde die Wirtschaft Mohl. »Er machte darauf
aufmerksam, dass ein einziges Wirtshaus an einer frequenten Land
straße zu wenig sei und der Weg zumWirtshaus für die Dürstlinge aus
dem oberen Ort zu weit« – so Barbara Spies, Kreisarchivpflegerin des
Landkreises Bamberg. Obgleich es keine schriftlichen Quellen über
das Haus und seine Geschichte gibt, gelang es der Heimatforscherin,
anhand späterer Quellen und Zeitzeugen ein anschauliches Bild des
Ortes zu skizzieren, der seit der Eingemeindung im Jahr 1978 ein Teilort
von Oberhaid ist.
HEUTE WÄREN DER
Ortsvorsteher und die namenlosen »Dürstlinge«
gewiss glücklich mit dem kulinarischen Niveau und der Herzlichkeit,
die dem Gast hier begegnen. Christine Günthner und ihr Team wis
sen von vielen, denen die raffinierte Küche in historischen Mauern
eine weite Anreise wert ist: Ein überregionales Publikum, das sich
in der charmanten Stube wie daheim fühlt. Sie nehmen das Haus als
Schmuckstück wahr. Mehrere Renovierungen, die erste nachweisbar
im Jahr 1910, haben den ursprünglichen Charakter kaum verändert.
Wer hierher zum Essen kommt, wandelt auf Unterhaider Vergangen
heit: Erbaut wurde das Haus im Jahr 1684. Es ist »eines der ältesten
erhaltenen Rathäuser des fränkischen Raumes«, so Barbara Spies. Erst
1991, nach einer weiteren behutsamen Renovierung durch das Archi
tekturbüro Eis, wurde aus dem Rathaus eine Weinstube.
In der Zeit nach dem 30-jährigen Krieg hatte Freiherr Philipp von Gut
tenberg als einer von mehreren Dorfherren das Sagen. Er beendete eine
Ära, in der die Unterhaider »ohne von oben her geregelte Ordnung«
lebten. Der Dorfobere befand, dies habe ihnen »zum menschlichen
schaden und nachtheil des gemeinen dorfes leben« gereicht, »streitt
und zerrungen« seien an der Tagesordnung gewesen. Und so stellte er
1677 das Zusammenleben auf die Basis einer neuen Dorfordnung. Im
Ort kehrte wohl Ruhe ein, geblieben ist einzig die Rivalität mit den
Oberhaidern. Die Streitigkeiten ziehen sich wie ein roter Faden durch
die Ortsgeschichte(n): In der einzigenWirtschaft in Unterhaid soll das
Bier des Wirts »von so schlechter Qualität« gewesen sein, »weshalb die
AVISO EINKEHR
DAS ALTE RATHAUS IN UNTERHAID