50
Es vergeht kaum eine Woche, in der nicht Horrorszena-
rien durch die Medienlandschaft geistern zum Thema:
uns gehe (mal wieder) die Arbeit aus. Das ist zwar grund-
sätzlich nichtsNeues, aber inVerbindungmit Künstlicher
Intelligenz hat das Thema eine neue Dimension erhalten:
Jetzt, so heißt es, würden auch jene Berufszweige, die bis-
her vonAutomatisierung verschont geblieben sind, durch
maschinelleTechnologie ernsthaft bedroht. Und inder Tat
ist es sicherlich so, dass vieleBerufsbilder inder bisherigen
Formzumindest deutlich anBedeutung verlierenwerden:
das gilt etwa fürAnalysten inBankenundVersicherungen,
für jene, dieKreditwürdigkeit undRisikenbeurteilen, oder
auch für Berater, die optimale Kreditverträge oder Anla-
geformen für Kunden finden sollen. Hier kannKünstliche
Intelligenz – und das ist wahrlich keine Zukunftsmusik
mehr – massive Unterstützung leisten und tatsächlich
auch viele dieser Tätigkeiten übernehmen. Aber bedeutet
das wirklich, wie manche meinen und gelegentlich auch
Studien (sogar vonMcKinsey) belegen zu können glauben,
dass es inZukunft immerwenigerArbeit für dieMenschen
gebenwird, dasswir uns auf Vier- oderDrei-Tage-Wochen
einstellen müssen und dass letztlich ein bedingungsloses
Grundeinkommen notwendig werden wird?
Ich halte diese Befürchtungen für massiv übertrieben.
Zum einen sollte man unterscheiden zwischen solchen
Tätigkeiten, bei denen KI tatsächlich den »Job erledigen«
und menschliche Arbeit komplett überflüssig machen
kann, und andererseits solchen, bei denen KI jedenfalls
auf absehbare Zeit nur in unterstützender Funktion tätig
werden wird. Die eingangs genannten Analysten-Tätig-
keiten zählen imGrundsatz zumerstenTyp: letztlich geht
es dabei um das effizientere Verarbeiten und Zusammen-
fassen von Informationen – zudem in weniger zeit- und
sicherheitskritischerWeise. Dagegen ist das etwa bei auto-
nom fahrenden LKWs schon deutlich anders, sie zählen
zum zweiten Typ. Ich glaube nicht, dass wir in absehba-
rer Zeit LKWs erleben werden, die völlig ohne Fahrer auf
öffentlich uneingeschränkt zugänglichen Straßen unter-
wegs sind – auch wenn
dies technisch möglich
wäre. Das ist letztlich ei-
ne Frage des Vertrauens
in die Technologie, und
damit eine im weitesten
Sinne ethische Frage. Es
ist eher damit zu rech-
nen, dass die Fahrzeuge
zwar hochautomatisiert
bis zumindest auf Teil-
strecken vollautomati-
siert fahren, dass jedoch
immer noch ein Fahrer
hinter dem Steuer sitzt
– der dann aber ande-
re Tätigkeiten ausführt,
beispielsweise Logis-
tik organisiert oder mit
Kunden kommuniziert. Und so wird es auch in anderen
Bereichen der KI sein: auf absehbare Zeit (was in 30 Jah-
ren ist, darüber will ich nicht spekulieren) wird es umeine
Zusammenarbeit zwischenMensch undMaschine gehen.
Das gilt sowohl für die industriellen Fertigungsumgebun-
gen als auch für andereBereichewieDienstleistungenund
den privatenKonsum. Und es hat auchKonsequenzen für
das Design von Mensch-Maschine-Interaktionen, die in
verantwortungsbewussterWeise gestaltetwerdenmüssen
(eins unserer Forschungsprojekte amneuenTUMInstitu-
te for Ethics inArtificial Intelligence beschäftigt sich genau
mit dieser Problematik).
Künstliche Intelligenz wird die Zukunft der Arbeit we-
sentlich beeinflussen. In den kommenden Jahren wird
immer stärker sichtbar werden, dass kaum ein Bereich
von KI-Technologien völlig unberührt bleibt. Wir sollten
denUmgangmit diesenTechnologiennicht bremsen oder
blockieren, sondern ihn verantwortlich und gemeinsam
gestalten.
Philosphischer Aperçu
Philosphischer Aperçu
– KI und die Zukunft
der Arbeit
Foto: Sonja Herpich
Prof. Dr. Christoph Lütge hat den
Lehrstuhl für Wirtschaftsethik
an der TUM inne und ist seit 2019
Direktor des TUM Institute for
Ethics in Artificial Intelligence. Er
ist Mitglied der Europaparlament-
Initiative AI4People sowie der Ethik-
Kommission für automatisiertes
und vernetztes Fahren beim BMVI.
Als Gastwissenschaftler war er
u. a. in Taipeh, Kyoto sowie an der
Harvard University tätig.
Aktuelles Buch:
Ethik in KI und
Robotik
(Hanser 2019, mit
Koautoren).