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Thomas Lang studierte Literaturwissenschaft

in Frankfurt am Main und lebt seit 1997 als freier

Autor in München. Er wurde mehrfach ausge-

zeichnet, u. a. mit dem Bayerischen Kunstförder-

preis und dem Literaturstipendium des Freistaats

Bayern, dem Ingeborg-Bachmann-Preis und

zahlreichen Künstlerresidenzen. Sein neuer Roman

Freinacht

erscheint aktuell bei Piper und wird

am 26.9. ab 20:00 Uhr in der Buchhandlung

Lehmkuhl vorgestellt.

thomaslang.net netzroman.thomaslang.net/

2016 entwickelte ich zusammen mit dem Literaturportal Bay-

ern ein literarisches Internet-Projekt. Die Frage war und ist:

Wie kann man beides zusammenbringen? Denn nach der An-

fangseuphorie, dem ausgerufenen Ende des linearen Erzählens

zugunsten vonHypertexten, der E-Mail-Variante desWerthers,

demTwitterroman usw. hat sich gemeinhin Ernüchterung breit-

gemacht. Ich hatte in den vergangenen 20 Jahren immer wie-

der mit Literatur imNetz experimentiert. Das Technische und

Formale reiztemich inzwischen weniger, die kurze bis kürzeste

Textform kaum noch.

Aus der gewonnenen Erfahrung leitete ich ab, dass ich kein

horizontales, schreibgruppenähnliches Projekt entwickeln

wollte. Ließe sich ein »herkömmlicher« Roman-Stoff im Netz

umsetzen? Diese Frage trieb mich um. Zehn Jahre zuvor hatte

ich Material gesammelt – eine wahre Begebenheit, die nach-

zuerzählen ich noch keine Gelegenheit gefunden hatte. Ließe

sich daraus nicht im Austausch mit einer Community ein Ro-

man entwickeln? So wurde der Netzroman geboren. Technisch

gesehen handelte es sich um ein Blog, in dem anonyme User

meine Beiträge kommentierten, ich wiederum fragte und zu

Diskussionen anregte (und angeregt wurde).Wie lässt eine wah-

re Geschichte sich literarisch umsetzen, welche Orte und Figu-

ren entstehen, was ist eine literarische Figur, welche sozialen

Aspekte schlummern in der Geschichte...?

So kam ich ins Gesprächmit meinen teils treuenUsern, stell-

temeine Pläne und schließlich erste Texte vor. Schüler imAlter

meiner Figuren steuerten eine weitere Ebene des Austauschs

bei. Gepostet wurde zwei- bis dreimal die Woche für rund ein

Dreivierteljahr. Technischen und Social-Media-Support stellte

das Literaturportal, dennoch habe ich die Zeit als intensiv und

etwas anstrengend in Erinnerung. Zu schreiben und gleichzei-

tig das Drumherum zu machen, wäre mir allein nicht möglich

gewesen.

AmEnde waren etwa 60 Seiten Text entstanden undmit die-

sem Material schuf ich einen Roman für und auf Papier. Doch

die Zeit mit meinen Usern, die Diskussionen über psycholo-

gische Dinge ebenso wie über Kleidungs- und Klischeefragen,

die geteilten Erfahrungen undGedankenmöchte ich auf keinen

Fall missen.

Storytelling im Netz

»Tod im Netz« -

ein Netzroman