18
wirtschaft. An dieser wird sich wenig ändern lassen.
Blühstreifen sind etwas fürs Auge. Den Lerchen, Gold-
ammern und Kiebitzen reichen sie nicht. Sie brauchen
größere, ungedüngte und giftfreie Flächen. Blumen am
Wegrand sind ein Anfang; ein Augenöffner, der Schön-
heit ahnen lässt. Die Landwirtschaft verödet nicht allein
die Natur. Sehr viel vernichten kommunale und staat-
liche Pflegemaßnahmen. Flächen an Straßen, die nichts
mit der Verkehrssicherheit zu tun haben, Böschungen
undDämme werden radikal gemäht, wenn Blumen blü-
hen, Schmetterlinge fliegen undVögel nisten. Mehrfach
im Jahreslauf. Damit bloß keinEindruck von iVerwilde-
rungl entsteht und sich die teueren Spezialmaschinen
rechnen. Diese Pflegemaßnahmen kosten viel Geld! Sie
sind größtenteils unnötig, weil es nur darum geht, das
Zuwachsen zu verhindern. Betroffen sind Flächen, die
nichts zu produzieren haben. Entlang von Autobahnen,
Bahntrassen und Kanälen bilden sie ein bedeutendes
Netzwerk der Verknüpfung von Biotopen. Vorgaben
zu sachgemäßer Pflege und tatsächliche Durchführung
liegen oft weit auseinander. Verhackstückt werden beim
Mähen auch Eidechsen, Kröten, Blindschleichen, Nat-
tern und Vogelnester. Verkehrsinseln werdenmit Gülle
geflutet, damit oft gemäht werden kann. Sogar imStaats-
wald werden die Ränder der Forststraßen der Totalra-
sur unterzogen, wenn Blumen blühen, Hummeln und
Schmetterlinge fliegen. Staat und Kommunen sollten
mit gutem Beispiel vorangehen – und enorm Kosten
sparen zugunsten der Artenvielfalt.
Wiese statt Rasen!
Das ist fürmich eine der effektivstenÄnderungen, die je-
der von uns unterstützen oder selber beeinflussen kann.
Man kann sich ja doch angewöhnen, das Gänseblüm-
chen, das Veilchen und die vielen anderen unscheinba-
ren Kräuter in Frieden ihr Dasein fristen zu lassen, statt
ihnen alle paar Tage die Köpfe abzumähen. Mit Blüten
sind öffentliche Grasflächen doch so viel schöner! Ein
anderer wichtiger Aspekt, zu demwir als wählende Bür-
ger beitragen können, ist, uns für zukunftsweisende Kin-
derspielflächen einzusetzen. Ich fände es toll, wenn auf
Spielplätzenmehr offene Flächenwären, womitMatsch
und Sand gespielt werden darf (da müssen natürlich die
Hunde draußen bleiben) und auch Hochbeete, also ein-
gefasste erhöhte Beete, in denenKinder entweder selber
Samen stecken könnten oder in denen Kräuter ausge-
bracht wären. Und eben nicht Zierpflanzen, sondern
heimische jUnkräuter‹ wie Wundklee, Thymian, Klee,
Gänseblümchen oder Salbei. Wenn dann noch etwas zu
den deutschen Namen, dem Aussehen und der Biologie
vonAllerweltspflanzen zu sehen und zu lesenwäre, inter-
essierte das sicher auch die älteren Spielplatzbesucher.
Natürlich keine endlosen belehrendenTexte. Spielplatz-
bau ist eine hohe Kunst und unterliegt vielen Auflagen,
aber ich denke, solche erhöhten Beete wären möglich
und ein Gewinn für Kinder und Erwachsene.
Mut zur Artenforschung!
Was stirbt wo? Wir wissen es meist nicht. Weder vor
unserer Haustür noch sonst wo. Weil wir nicht einmal
wissen, ob es 2, 10 oder gar 100Millionen Tierarten auf
dem Planeten gibt. Von »Mikroben« ganz zu schwei-
gen. Artenforschung wurde jahrzehntelang unterfinan-
ziert undwird noch immer sträflichmissachtet. Derweil
werden die meisten Arten selten und sterben dann aus,
unbemerkt. Weil wir riesige Lebensräume zerstören,
vergiften und verschmutzen, befinden wir uns im 6.
Massensterben der Erdgeschichte. Gar nicht gut. Denn
die Biokrise, der Schwund von Biomasse und Arten,
das Versagen der Ökosysteme und ihrer Funktionen
kommt wohl schneller und heftiger daher als der Klima-
wandel, und sie befeuern sich gegenseitig. »Unsere Na-
tur stirbt«, überall, und auch gesellschaftliche Systeme
werden instabil. Es droht der globale Kollaps noch vor
dem Jahr 2050. Was also tun?
Wir müssen die Natur UND das Klima sofort und um-
fassend weltweit schützen. Für solchen Sinneswandel
braucht es Fakten, Information und möglichst positive
Emotionen aller. Das Angebot der Artenforscher: Ma-
chen wir endlich eine Inventur ALLER Arten, ihrer
Lebensräume, Lebensweisen und ihrer Erbsubstanzen.
Geben wir den bedrohten ArtenNamen, Gesichter und
Geschichten – eine Existenz! Stellen wir ihre Schönheit
millionenfach ins Rampenlicht und entdecken wir mög-
lichst viele ihrer Fähigkeiten und Geheimnisse, bevor
sie auf Nimmerwiedersehen vernichtet werden. Ma-
chen wir Expeditionen und Schutzbemühungen per-
sönlich, online und weltweit erlebbar. Nehmen wir die
Thema LandLeben
Insekten haben
keine Lobby. Das
Insektensterben
hat ähnlich dra-
matische Auswir-
kungen wie der
Klimawandel.
SR
MS