|26|
aviso 1 | 2019
FRAUEN. GLEICHE CHANCEN – ANDERE MÖGLICHKEITEN
COLLOQUIUM
NAHID SHAHALIMI
Was ist Ihnen wirklich wichtig?
Ein Krieg, der gar nichts mit uns zu tun hatte, hat
den Verlauf unserer Geschichte und das Leben
aller Afghanen für immer verändert. Aber er hat
mich zu dem Menschen gemacht, der ich heute
bin, deshalb bemühe ich mich bei allem, was ich
tue, einen besseren Weg zu hinterlassen als den,
der für mich vorgegeben war.
Was empfinden Sie als tiefstes Leid?
Es hat schwere Zeiten gegeben, aber sind nicht die
Höhen und Tiefen das Schöne am Leben? Als der
Schah – der letzte König von Afghanistan – 1973
gestürzt wurde, wurde alles anders. Der Krieg hat
mir meinen Vater genommen, und das Leben wur
de für uns die Hölle auf Erden. Reich und weiblich
zu sein ohne ein Familienoberhaupt wurde zum
Fluch. Wir waren reich genug, dass es für alle ge
reicht hätte, aber einige Verwandte lauerten wie
die Wölfe auf den Tod meines Vaters. Ich habe er
lebt, wie Menschen sich inMonster verwandelten,
für die nur das Geld zählte. Wir sind wegen des
Krieges aus Afghanistan weggegangen, aber vor
allem, weil es sehr gefährlich für uns als Frauen
war. Wir haben nichts mitgenommen, sind über die
Berge geflohen und hatten fünf Tage lang nichts zu
essen und zu trinken. Das hat uns um unsere Kind
heit betrogen, aber es hat uns auch stark gemacht.
Wir waren schon auf dem absoluten Tiefpunkt
angelangt, was sollte da noch kommen? Der Tod?
Was würden Sie in der Welt verändern, wenn Sie könnten?
Ich bin der Überzeugung, wenn man etwas
Gutes tun will, sollte man einfach hingehen und es
tun. Man braucht keine Erlaubnis, um jemandem
zu helfen. Und ich wünschte, die Menschen wür
den wirklich zu sich selbst finden. Sie reden sich
ein, dass sie in Schubladen passen müssen. Aber
wofür? Für wen? Was versuchen sie zu beweisen?
Wählen Sie ein Wort, das Sie beschreibt.
Widerstandsfähigkeit.
Nahid Shahalimi
wurde in der afghanischen Haupt-
stadt Kabul geboren. Sie studierte Bildende Kunst am
Champlain College an der Südküste von Montréal so-
wie Politik und Südostasien-Studien mit dem Schwer-
punkt Menschenrechte an der Concordia University
in Montréal. Sie ist Gründerin und Vorsitzende der
Hope Foundation for Women and Children in Afgha-
nistan und Mitglied im Nationalkomitee von UNICEF
Deutschland. 2009 startete sie »We, theWomen –Ger-
many«, eine Wanderausstellung und ein Journal zur
Würdigung starker, inspirierender deutscher Frauen.
2017 erschien ihr Buch »Wo Mut die Seele trägt. Wir
Frauen in Afghanistan« mit Porträts von afghani-
schen Frauen und Mädchen im Elisabeth Sandmann
Verlag.