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aviso 1 | 2019
FRAUEN. GLEICHE CHANCEN – ANDERE MÖGLICHKEITEN
COLLOQUIUM
Dr. Ingvild Richardsen
ist Literatur- und Kulturwissenschaftlerin.
Sie kuratierte die Ausstellung »Evas Töchter. Münchner Schriftstellerin-
nen und die moderne Frauenbewegung. 1894 bis 1933«, die vom
14. März 2018 bis zum 16. September 2018 in der Monacensia gezeigt
wurde. 2019 wird ein Buch von ihr zum Thema erscheinen.
Zum Weiterlesen:
Ingvild Richardsen (Hg.): »Evas Töchter. Münchner Schriftstellerinnen
und die moderne Frauenbewegung. 1894 bis 1933«. München 2018
https://www.literaturportal-bayern.de/themen?task=lpbtheme. default&id=1187: Modernsein. Die bürgerliche Frauenbewegung in Mün-chen und Bayern und ihre Schriftstellerinnen. 1894-1933;
https://www.literaturportal-bayern.de/literaturland?type=trip&id=162:Literarischer Spaziergang. Evas Töchter. Münchner Schriftstelle-
rinnen und die moderne Frauenbewegung. 1894-1933. Stadtspaziergang
durch die Maxvorstadt.
bestätigt das Amtsgericht München die Auflösung
durch die 2. Vorsitzende Eva Gräfin von Baudis
sin, damals national und international bekannt
als Schriftstellerin, Rundfunk- und Filmautorin.
ImDezember 1933 übergibt sie die Akten des auf
gelösten Vereins dem Stadtarchiv München. Drei
Monate später wird auch sie öffentlich von dem
österreichischen Rassentheoretiker Otto Hauser
als angebliche »Jüdin« diffamiert. 1934 wird von
den Nationalsozialisten dann auch der Ort zerstört,
wo der
Münchner Schriftstellerinnenverein
seit
1925 tagte, das Haus des Künstlerinnenvereins in
der Barerstraße 21. Heute steht auf diesem Areal
die Münchner Filmhochschule.
Carry Brachvogels Tod in Theresienstadt
Carry Brachvogel teilt ihr weiteres Schicksal mit
ihremBruder, Siegmund Hellmann, damals ein be
kannter Historiker. Als ihm seine Professur in Leip
zig entzogen wird, zieht er zu seiner Schwester nach
München. Am 17. Juli 1942 erhalten die 78-jäh
rige Carry Brachvogel und der 70-jährige Sieg
mund Hellmann eine Aufforderung der Gestapo
München, sich ab dem 20. Juli in ihrer Wohnung
in der Herzogstraße 55 für einen »Abwanderungs
transport« bereitzuhalten. Einige Tage später wer
den beide ins KZ Theresienstadt verschleppt, wo
sie Ende 1942 zu Tode kommen.
Die Frauenbewegung nach 1945
Die Ideale der modernen bürgerlichen Frauenbewegung zählen auch
nach 1945 in Deutschland wenig. Das Frauenbild, das 1933 propagiert
wurde, wirkt noch bis ins Nachkriegsdeutschland hinein. Die treusor
gende Mutter und Hausfrau ist die übliche Frauenrolle der 1950er- und
60er-Jahre. Das bürgerliche Gesetzbuch schreibt vor, dass die Ehefrau,
will sie arbeiten, dazu die Erlaubnis von ihremEhemann einholen muss.
Erst 1977 wird dieses Gesetz geändert. Bis 1958 darf der Ehemann
den Anstellungsvertrag seiner Frau fristlos kündigen, hat er sogar das
alleinige Bestimmungsrecht über seine Frau und Kinder inne. Und
selbst wenn er seiner Ehefrau erlaubt zu arbeiten, so darf er doch auch
ihren Lohn verwalten. Ohne Zustimmung des Mannes dürfen Frauen
bis 1962 kein eigenes Bankkonto eröffnen, ja erst nach 1969 wird eine
verheiratete Frau überhaupt als geschäftsfähig angesehen.
Missstände in der Erinnerungskultur
Tatsächlich ist erst seit ein, zwei Generationen für die Frau wieder
angesagt, wofür die bürgerliche Frauenbewegung bis vor dem Ersten
Weltkrieg gekämpft hat. Und nur sehr allmählich wird die Erinne
rung an die Frauenrechtlerinnen und Schriftstellerinnen der moder
nen Frauenbewegung und die Rezeption ihrer Werke wieder möglich,
die durch die Herrschaft der Nationalsozialisten so radikal ausgelöscht
wurde. Warum gibt es bis heute in München, in Bayern, kein Museum
zur Geschichte der Frauen in Bayern? Warum dämmern bis heute in
Archiven und Bibliotheken die Nachlässe ehemals berühmter Schrift
stellerinnen vor sich hin? Warum gibt es bis heute in Deutschland keine
Gesamtausgabe der Schriften von Anita Augspurg? Warum hat keine
dieser Frauen eine Büste in der Ruhmeshalle an der Münchner There
sienwiese erhalten? Warum stehen hier noch heute den über 100 Büs
ten »ruhmeswerter« Männer lediglich die Büsten von nur vier Frauen
gegenüber? Wo findet die Erinnerung an die vielen Frauen Bayerns, die
sich in allen Bereichen der Gesellschaft verdient gemacht haben, statt?
1912 hat Anita Augspurg eine »Nationalhymne der Frauen« geschrie
ben. Sie endet so:
Nur ein Land, das seine Frauen
Frei und gleich und würdig stellt,
Nur ein solches Land strebt aufwärts,
Steht voran in aller Welt!
oben
Künstlerinnenverein, Barerstr. 21 (rechts im Bild mit
Jalousie); darunter kurz vor dem Abriss.
© Stadtarchiv München. FS-HB-XVI-0758