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Man kann Frauen nur stärken, wennman sich ihre Geschich
te erzählen lässt.
(Gloria Steinem)
Die neuseeländischen Autoren RuthHobday und Geoff Black
well haben 200 Frauen in unterschiedlichen Gegenden der
Welt – seien sie nun reich oder arm, schwarz oder weiß, gebil
det oder ungebildet, bekannt oder unbekannt – fünf schein
bar einfache Fragen über ihr Leben gestellt:
Was ist Ihnen
wichtig? Was macht Sie glücklich? Wie empfinden Sie tiefs
tes Leid? Was würden Sie in der Welt verändern, wenn Sie
könnten? Wählen Sie ein Wort, das Sie beschreibt.
Kieran E.
Scott hat die Frauen fotografiert. Entstanden ist ein bewe
gendes Manifest dieser Frauen: »Ihre Antworten und ihre
Geschichten könnten unterschiedlicher nicht sein, aber im
mer wieder trafen wir auf Güte, Großmut, Weisheit, Inspira
tion und vor allem auf die Wahrheit.« (Geoff Blackwell und
Ruth Hobday 2017)
Auch vier Künstlerinnen aus Bayern haben ihre Geschichten
erzählt; Auszüge daraus finden Sie auf den nächsten Seiten.
Jede von ihnen tritt auf andere Weise dafür ein, dass Unge
rechtigkeiten sichtbar werden und Zustände nicht hinge
nommen werden müssen.
Was
uns
bewegt
5 Fragen an 4 von 200 Frauen
Text:
Elisabeth Sandmann
Zum Weiterlesen: www.twohundredwomen.deDie Ausstellung »200 Frauen –
was uns bewegt« wurde
von Oktober bis Dezember
2018 in der Alten Bayerischen
Staatsbank und der
Technischen Universität
München, exklusiv gefördert
von der BMW Group, gezeigt.
Das gleichnamige Buch
erschien beim Elisabeth
Sandmann Verlag.
ANNE-SOPHIE MUTTER
Was ist Ihnen wirklich wichtig?
Das hat sich im Laufe der Jahre so sehr verändert. Seit ich
Mutter bin, sind mir meine Kinder am wichtigsten. Mein
Mann und ich waren, als er 1995 starb, erst sechs Jahre ver
heiratet. Ich blieb mit zwei Kindern zurück, einem einjäh
rigen und einem dreijährigen. Ich hätte es nicht für möglich
gehalten, dass ich dieses Maß an Schmerz und Trauer über
stehen würde, aber die Erfahrung hat mir das ganze Ausmaß
meiner Fähigkeiten und meiner Kraft vor Augen geführt. So
etwas lässt einen wirklich neue Prioritäten setzen. Aber eine
mein ganzes Leben durchziehende Konstante ist die Musik.
Ich entdeckte meine Leidenschaft für das Geigenspiel, als ich
fünf war. Wir waren eine sehr musikalische Familie, und im
Haus erklang immer Musik – klassische und Jazz. Die Kinder
spielten ständig Klavier oder Geige, aber ich war die Einzige,
die am Ende ihre Leidenschaft zum Beruf gemacht hat. Ich
wünschte mir zu meinem fünften Geburtstag Geigenunter
richt und fing sofort Feuer für das Gefühl, einen Klang formen
zu können. Ich kammir vor wie ein Bildhauer, umfangen von
einemKosmos aus Farben und faszinierender Klangdynamik,
und ich wusste, dass ich Musikerin werden wollte. Was das
Potenzial der Musik anbelangt, da ist Europa das perfekte
Beispiel für seine Umsetzung. Im heutigen Europa gibt es so
viele verschiedene Konzepte und Sichtweisen auf das Leben,
die Religion und die Kultur, und da alle so nahe beieinander
leben, vermischen sich diese verschiedenen Sichtweisen. In
diesem Zusammenhang ist Musik die einzige Sprache, die
wir alle gemeinsam haben, die einzige Sprache, die, wenn sie
‘gesprochen’ wird, von uns allen auf einer emotionalen Ebene
verstanden wird. Wenn wir Lieder singen undMusik spielen,
können wir auf einer Ebene kommunizieren, die vollkommen
natürlich ist. Ob nun eine Feier stattfindet oder wir trauern,
die eine Sache, die wir gemeinsam haben, ist, dass unsere
Rituale von Musik durchdrungen sind. Und für Kinder ist
Musik eine Schule des Lebens: Sie lehrt Disziplin, Zuhören,
Teamwork und Führungsqualitäten. Ich hatte schon seit
ein paar Jahren Musikunterricht, als meine Mutter mir –
mit Tränen in den Augen – von Yehudi Menuhins Rückkehr
nach Deutschland erzählte. Er war einer der großen Geiger
und der erste jüdische Musiker, der nach dem Zweiten Welt
krieg nach Deutschland zurückkam, um für ein deutsches
Publikum zu spielen. Ich hörte aus der Stimme meiner Mut
ter eine enorme Dankbarkeit heraus – dass Menuhin nach
Deutschland kam, war eine ungeheure Geste der Vergebung.
Da wurde mir klar, dass Musiker zu sein nicht nur bedeutet,
dass man sein Instrument beherrscht und Freude am Spiel
hat; Musiker zu sein bedeutet auch, eine emotionale Brü
cke zu bauen, die Menschen zusammenführt. Als Musiker
hast du das Potenzial, Tausende vonMenschen zu berühren,
und deine Musik kann für andere eine so große Bedeutung
haben. Als ich das begriff, habe ich angefangen, einen Teil
meiner Zeit wohltätigen Projekten zu widmen. Ich fühle mich
sehr stark der Philanthropie verpflichtet. Ich bin von so viel
Traurigkeit und Schmerz umgeben, dass es mir manchmal
Elisabeth Sandmann
gründete 2004 ihren gleichnamigen
Verlag, der sich insbesondere für die Sichtbarmachung von
Frauen einsetzt.