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Thema Künstliche Intelligenz
gleichen. In unserem Beispiel klingt die erzeugte Musik dem-
entsprechend nach einer Bach-Fuge oder nach einem neuen
Beatles-Song.
Im4. Schritt bewertet ein Evaluationsschritt das erzeugte
Artefakt, um zu entscheiden, ob es den ästhetischen oder funk-
tionalen Ansprüchen an eine neue, werthaltige Kreation genügt.
Abhängig von der Entscheidung im 4. Schritt springt der
kreative Prozess zurück zu Schritt 1 und beginnt einen neuen
Zyklusmit einemneuen Satz von Startparametern. Alternativ ist
es auchmöglich, dass der Prozess beimNeudurchlauf imSchritt 2
Stilparameter verändert. Dies kann entweder automatisch statt-
finden, oder durch einen Menschen veranlasst werden.
Insgesamt läuft der kreative Prozess in einer Schleife, bis
der Evaluierungsschritt (Schritt 4) das erzeugte Artefakt für gut
bewertet und als Output festlegt.
Den Evaluierungsschritt zu automatisieren ist auch heute
noch eine sehr schwierige Aufgabe, an deren Lösung KI-Wissen-
schaftler aktiv forschen und arbeiten. Diese Stelle des kreativen
Prozesses stellt einen geeigneten Punkt für die Interaktion des
technischen Systems mit dem Menschen dar, weil es noch auf
längere Sicht demMenschen vorbehalten ist, Ästhetik, Bedeu-
tung oder Funktion für ein Artefakt festzulegen.
Für die technische Umsetzung dieses Schemas zur Rea-
lisierung von explorativer Kreativität verwenden KI-Experten
häufig sogenannte »Generative Adversarial Networks«, kurz
GAN. EinGANbesteht aus mehreren gekoppelten neuronalen
Netzen, die beispielsweise aus vorkuratierten Bildern durch
einen aufwändigen Lernprozess (inkl. Post-Kuratieren bei der
Bewertung von erzeugten Bildern) typische Merkmale für Ge-
mälde von Vincent van Gogh extrahieren. Dadurch entsteht
eine Repräsentation für den Stil van Goghs, die für die Erzeu-
gung neuer Bilder im Stil von van Gogh benutzt wird, die es so
in Wirklichkeit nie gab. Vergleichbar funktioniert das bei der
Komposition von Musik, die nach »Beatles« klingt. Dort lernt
ein GAN die Merkmale für Beatles-Musik.
Zukunft der maschinellen Kreativität
Beim Kuratieren der Lernbeispiele sowie bei der Bewertung
der erzeugten Artefakte ist der Mensch direkt oder indirekt
involviert. Die Bewertung des Artefakts beinhaltet eine vom
Menschen eingebrachte Intention, eine Bedeutung oder Seman-
tik, über die das technische System nicht verfügt. Die Kreation
von Kunst erscheint ein zutiefst gesellschaftlicher Prozess zu
sein, bei dem sich die Kunst erst durch einen impliziten Dia-
log zwischen Künstler und Betrachter/Zuhörer ergibt. Dieser
Dialog involviert menschliche Interpretation bzgl. neuer Mög-
lichkeiten und bzgl. des Kontexts. Vielleicht ist es der fehlende
sinnstiftende Dialog, der verhindert, dass eine Maschine von
sich aus Kunst erzeugen kann. Die kreativeMaschine hat keinen
eigenen Drang zum künstlerischen Ausdruck und keinen eige-
nen Antrieb zum Dialog, genauso wenig wie sie einen eigenen
Überlebenswillen hat.
In dieser Richtung erfahren wir eine Reihe grundsätzli-
cher, philosophischer und auchmathematisch-logischer Frage-
stellungen bzgl. der Grenzen für die Machbarkeit maschineller
Kreativität oder auch maschineller Intelligenz. Grenzen der
algorithmischen Berechenbarkeit und Entscheidbarkeit haben
u. a. Alan Turing undKurt Gödel bereits offengelegt. Möglicher-
weise finden wir bei der näheren Betrachtung entsprechende
Grenzen für die KI.
Nichtsdestotrotz eröffnet uns diese neue Form der Inter-
aktion von Mensch und Maschine im kreativen Prozess neue
Möglichkeiten, Software-Werkzeuge zu entwickeln, die den
Menschen beim Kreieren unterstützen können. Die Fotografie
hat sich imLaufe der Zeit aus ihrem anfänglichen Status als we-
nig geschätzter, rein technischer Bildgebungsprozess, der ohne
kreativen Anspruch die Wirklichkeit aufnimmt, in eine eigene
Kunstform entwickelt. Hier sind menschliche Kreativität und
Technik eine fruchtbare Partnerschaft eingegangen.
Prof. Dr. Klaus Diepold lehrt Datenverarbeitung an der
Technischen Universität München, wo er Elektro- und
Informationstechnik studiert hat. Nach seiner Promotion
war er als Wissenschaftler und Unternehmer in der Video-
und Fernsehindustrie in München und New York tätig.
Über zehn Jahre engagierte er sich in der Entwicklung von
MPEG-Standards (MPEG-4, MPEG-A), bevor er 2002
dem Ruf an die TU München folgte. Im Rahmen seiner
Forschungs- und Lehrtätigkeit an der TUM im Bereich des
Maschinellen Lernens ergibt sich bei dem passionierten
Freizeitmusiker regelmäßig die Frage, ob intelligente Ma-
schinen auch (musikalisch) kreativ sein können. Um
diese Frage zu beantworten, bietet er jedes Jahr den Kurs
»Komputer & Creativität« an, wo er mit einer Gruppe
von Studierenden im Bachelorstudiengang Elektrotechnik
verschiedene Formen kreativer Maschinen untersucht
und entwickelt.
Dr. Marc Gumpinger ist Künstler und Programmierer. Zen-
trales Element seiner Motive ist die Diskrepanz zwischen
den deterministischen Technologien und der Unbestimmt-
heit der Ergebnisse bei deren Kombination. Er erstellt
seine Arbeiten nicht in manuellen und planbaren Schritten.
Stattdessen schreibt er mit seinen Programmen abstrakte
Regelwerke, innerhalb derer die Motive sich selbst gene-
rieren und sich die Algorithmen damit selbst darstellen.
Neben seinen prozeduralen Arbeiten hat Gumpinger Algo-
rithmen für die Bildgenerierung entwickelt und das welt-
größte Mobile Gaming Netzwerk aufgebaut. Seine Arbeiten
sind in internationalen Sammlungen vertreten.
marc-gumpinger.com