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Kreativität ist nicht etwas, das man bei Bedarf
komplett abstellen kann. Ich würde es mit ei-
nem Muskel vergleichen. Wir denken nicht
die ganze Zeit über alleMuskeln in unserem
Körper nach, aber jeder dieser Muskeln ist
ständig »bereit«, solange wir (hoffentlich)
gesund sind. Kreativität kann daher wie ein
Muskel trainiert werden, wennman dieWil-
lenskraft dazu besitzt.
Viele denken, dass Kreativität einen »über-
kommt«, dass es eine Art intuitives Geschenk
ist. Aber wenn man sich die Biografien der gro-
ßen Komponistinnen und Komponisten anschaut,
dann siehtman, dass sie besser wurden, jemehr sie den
kreativen Muskel anstrengten. Im Sport spricht man von
Hypertrophie – der Muskel wächst nur, wenn man ihn
überlastet, nicht, wenn man ihn nur angenehm
leicht anstrengt. Bach mag sein wöchent-
liches Abliefern einer Kantate als
Stress und als Last empfunden
haben, aber die unglaub-
liche Routine, die
ihm diese
harte
Arbeit
schenkte,
erleichterte ihm
das Schreiben seiner Meis-
terwerke und steigerte seine
Fähigkeiten als Komponist.
Da die Kreativität sich
nicht vom Künstler tren-
nen lässt, wird sie als
existenziellerwahrgenom-
men als zum Beispiel
das Verrichten einer
Dienstleistung oder
handwerklicheArbeit.
Dadurch entstand
auch das Klischee-
bild des »verrückten«
Künstlers, das gerne
in kitschigen Künstlerbiografien stilisiert
wird. Wer wirklich Komponistin ist, MUSS Komponieren –
die innere musikalische Welt ist so stark präsent, dass man sie
ständig inBewegung haltenmuss, indemman einiges davon aufs
Papier bringt.Wennman zu lange auf einemStuhl sitzt, will man
irgendwann aufstehen und sich bewegen. Genauso geht es mir,
wenn ich zu lange nicht komponiere, es ist fast ein physischer
Drang, komponieren zu müssen.
Ich denke also ständig über Musik nach, ich höre ständig Musik
im Kopf. Das war auch nie anders – schon als Kind war ständig
Musik in mir. Musik, die ich einmal gehört hatte, setzte sich
in mir fort, variierte sich selbstständig. Wenn ich Lust hatte,
z. B. Musik von Mozart zu hören, fiel mir vielleicht
nicht der exakte Wortlaut eines Stückes von Mozart
ein, aber ich konnte mir endlos und fast automatisch
Musik ausdenken (und damit hören), diewieMusik von
Mozart klang. Diese spielte im Hintergrund in meinem Kopf,
auch wenn ich etwas anderes tat. Als ich lernte, Musik zu no-
tieren, fühlte es sich daher fast selbstverständlich an. Für mich
ist die Musik in meinemKopf der Alltag, ich höre sie auch beim
Schreiben dieses Textes, ich brauche dazu keinen CD-Spieler.
Der kreative »Prozess« kannmich also jederzeit und auch unver-
mittelt überfallen.Manchmal mache ichmirNotizen, manchmal
auch bewusst nicht. Manche Ideenmüssen reifen, wie guteWei-
ne.Wenn sie gut sind, werden sie sich immer wieder aufdrängen,
immer stärker werden, die schlechten Ideen vergisstmanwieder.
Irgendwann lernt man, dass die wahre Kreativität erst dann be-
ginnt, wenn sie an ihre Grenzen stößt. Schriftsteller, die nur
schreiben, wenn ihnen »etwas einfällt«, sind keine richtigen
Art Slam
–
Der kreative
Muskel
Text: Moritz Eggert
Illustration: Dominik Wendland
Art Slam