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er kleine Raummit den großen Fenstern zumMarstall
ist gut gefüllt. Draußen verfärben sich die Blätter. Ein
sicheres Zeichen, dass die neue Opernsaison begonnen hat.
»Wie würden Sie denn reagieren, wenn man Ihnen das
Singen verböte?«, frage ich.
DieMezzosopranistinNoa Beinart sieht mich unschlüssig
an. Wir wissen beide nicht so genau, worauf ich eigentlich hi-
nauswill. Fragt man so etwas als Erstes für ein Sängerportrait?
Ich drehemich um. Hinter mir sitzt achtsambeiläufig zuhörend
die charmante Pressedame des Nationaltheaters und amFlügel
Tobias Truniger, der Leiter des Opernstudios. Auch ihmkommt
die Frage sonderbar vor.
Alle lauschen aufmerksam, als würde ich gleich eine
schwierige Koloraturarie vorsingen. Wahrscheinlich habe ich
einmal zu oft darauf hingewiesen, dass ich kein Journalist, son-
dern nur ein opernvernarrter Schriftsteller sei. Soll das nicht
ein Bericht über das Münchner Opernstudio werden, dessen
Mitglied Noa ist? Die Idee, den letzten Schliff an Ausbildung
zu verbinden mit der Möglichkeit, an einem Repertoirebetrieb
mitzuwirken, hat etwas Bestechendes. Und die vielen kleineren
Rollenmüsste man sonst mit teuren Gästen besetzen. So haben
alle etwas davon: die Oper motivierte, junge und begabte Sänger
und diese wertvolle Erfahrungen. Genau das Gegenteil eines
Singverbotes.
Um das Treffen zu legitimieren, haben wir es »Coaching«
genannt. Die Sängerin soll noch einmal mit ihremAusbildungs-
leiter die Partie durchgehen, danach würde Tobias Truniger
kluge Ratschläge zur Gesangstechnik geben und die Fotografin
– die ist auch noch da! – davon schöne Bilder machen. Ich sehe
schon vor meinem geistigen Auge, wie sich die Sängerin mit
ihrem Lehrer über den Klavierauszug beugt und mit Bleistift
Atemzeichen einträgt... – Nur passt da nicht, dass Noa ihre
Rolle schon perfekt kann. Zwei Tage vorher hat sie das Ganze
schon so zufriedenstellend gesungen, dass der Opernstudiolei-
ter bei der morgigen Aufführung gar nicht zu kommen braucht.
»Wenn etwas gut funktioniert«, sagt er, »braucht man
nicht darin rumrühren.« Recht hat er. Zumal ein echtes Coa-
ching keine neugierigen Gäste vertragen würde.
Alle warten gespannt auf meine nächsten Fragen, damit
vielleicht etwas klarer wird, was das hier werden soll. Doch ich
zögere, vielleicht kommt ja noch was jenseits der üblichen Sän-
gerstanzen. Und Nora Beinart ist schon zu sehr Profi, um jetzt
ebenfalls zu schweigen.
»Ich hätte noch viel zu tun jenseits des Gesangs. Aber ich
möchte nicht. Lieber singen«, sagt sie. Das gefällt mir, weil es
ehrlich ist. Sie würde sich das Singen von niemandemverbieten
lassen.
Natürlich, schließlich steht sie am Beginn einer wahr-
scheinlich glänzenden Karriere, die sie bereits ans Opernstudio
der Bayerischen Staatsoper geführt hat. – Weiter oben kann
man seine Laufbahn nicht beginnen. Jetzt an deren Ende zu
denken, ist in etwa so verquast wie dieHandlung vonOffenbachs
Oper, um die es ganz am Rande auch geht.
»DieMusik gibt einemdas Vertrauen, auchwennmanmal
strauchelt. Sie läuft und wird weitergehen. Das ist das Schöne.«
Vielleicht gelingt genau wegen all dieser Verworrenheit
nach den ersten tastenden Fragen und Stockungen einGespräch
über das Vertrauen, das eine Sängerin braucht. Das wir alle brau-
chen, wenn wir täglich wieder in diesen Fluss steigen, der das
Leben ist, mit seinen Strömungen, seinen plötzlichenWirbeln.
In der Gewissheit, dass er einen weitertragen wird.
Noa hilft genau das: sich vorzustellen, dass sie sich dem
hingeben muss, im Vertrauen darauf, dass sie jetzt, in diesem
Moment, am richtigen Ort ist.
Und dann gebe es ja auch immer den Dirigenten, der alles
imBlick habe, und auf dessen Einsatz und Erfahrungenman sich
verlassen könne, ergänzt Tobias Truniger.
»Und was ist«, frage ich, »wenn auch der Dirigent unter-
gegangen ist?«
»Dann gibt es immer noch den Souffleur, der den Sängern
aus seinem Kasten heraus hilft.«
Nur ist manchmal sogar der weit weg. Noa wird bei ihrem
Auftritt für das Publikum unsichtbar in den Kulissen stehen.
Vor sich ein kleines Stück Stoff, durch das sie gerade so den
Dirigenten erkennt. Die anderen Sänger sind so fern, dass sie
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