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tigste als Anfänger war für mich damals, ein Feedback

zu bekommen, dass ich generell auf dem richtigenWeg

bin. Ich hatte dieses Monstrum eines Romans im Kopf

und keine Ahnung, ob irgendetwas davon funktioniert.

Haben sich Ihre Texte sehr verändert durch die Seminare?

Bei mir hat sich wahnsinnig viel verändert. Dieses ers-

te Romanprojekt war ein Experimentierfeld für mich.

Durch die Seminare ist mir vieles klarer geworden.

Man entdeckt etwas im eigenen Schreiben, was man

so vorher nicht gewusst oder nur geahnt hat. Man wird

sich bewusster, was man kann, was einen von anderen

unterscheidet und woran man noch arbeiten muss. Ich

hab’ vor allem gelernt zu streichen, das war für mich

eine der wichtigsten Lektionen. Und man lernt durch

denBlickder anderen, den eigenenText anders zu lesen.

Jeder sieht etwas anderes darin.

Bei mir hat sich wenig und zugleich alles verändert. Ich

wurde angeregt, eine andere Perspektive auszuprobie-

renunddiese hat viel besser funktioniert. Ichpersönlich

lerne mehr durch die Fehler der anderen Teilnehmer

als meine eigenen, da habe ich Scheuklappen auf, bis

ich sie in einem fremden Text sehe. Dann erkenne ich

sie plötzlich.

HerrNiedermeier, Sie haben schon Seminare geleitet. Frau

Gorelik, Sie leiten heuer mit Martin Kordic das Seminar

»Grenzüberschreitungen« für Studierende.Wie bauen Sie

Ihre Seminare auf?

Ich steige direkt mit dem Schreiben ein, indem ich eine

Aufgabe stelle. Ich gebe etwa einen erstenSatz vor, dann

schreiben alle–auch ich– fünfMinuten lang einenText

und lesen ihn vor. Danach entstehen die Schreibübun-

gen oft aus den Texten, die die Teilnehmer mitgebracht

haben. Wenn darin ein Dialog nicht funktioniert, ver-

suchen alle, einenDialog zu schreiben. Es ist ein bestän-

diger Wechsel aus Schreiben und Gesprächen über das

Geschriebene.

Bei mir war das ganz ähnlich. Es ist wichtig, auf die je-

weilige Gruppe einzugehen. Man schaut, was kommt

von den Teilnehmern, was macht ihnen Spaß, wo sind

die Problemfelder, woran kann man arbeiten.

Kritik trifft Autoren ganz persönlich. Ist bei der Leitung

eines Schreibseminars besondere Sensibilität erforderlich

im Umgang mit Kritik?

Diese Sensibilität herrscht im Raum schon alleine da-

durch, dass alle–bis auf dieLektoren–selbst schreiben.

Sowie ich es erlebt habe, kommt dieKritik nie von oben

herab, sondern entsteht aus einer sehr ernsthaften, lie-

bevollen und genauen Auseinandersetzung mit einem

Text. Jeder hat eine Fülle anAnmerkungen und Fragen.

Außerdem sorgt ja die Gruppe für Abfederung. Wenn

ich sage, das funktioniert für mich nicht, sind da noch

einDutzendLeute, die das vielleicht anders sehen.Dann

wird diskutiert. Es gibt nicht eine Instanz, die unantast-

bare Urteile fällt.

Die richtigeFormderKritikhängt auchvomGegenüber

ab. Bei manchen muss man sie behutsam formulieren,

andere wollen nicht mit Samthandschuhen angefasst

werden, weil sie dann das Gefühl haben, man sei nicht

ehrlich und nehme sie nicht wirklich ernst.

Kritiker von Creative-Writing-Kursen monieren, da wür-

den stilistische Eigenarten ab- und glattgeschliffen.

Ichhalte das für ein großesVorurteil. Ichkenne viele, die

inder Folge vonAkademiekursenBücher veröffentlicht

habenundwage zu behaupten, ich könnte jeden anhand

seines Textes erkennen. Jeder hat einen unverwechsel-

barenStil. In einemgutenSchreibkurs kannmandiesen

weiterentwickeln, herauskristallisieren und schärfen.

Genau. Ich versuche immer, aus jedem das herauszu-

holen, was ihnoder sie persönlich ausmacht. Dafür stelle

ich individuelle Aufgaben.

Niemand versucht, dir deine Stimme zu nehmen, im

Gegenteil: Die Vielfalt der Stimmen wird gestärkt. Als

ich vor der Entscheidung stand, soll ich eine konven-

tionellereWendung wählen, die vielleicht mehr Leuten

gefällt, hieß es: Mach das, was der Text will. Du wirst

ermutigt, aus der Eigenlogik deines Textes heraus zu

denken und dich nicht an irgendwelche Konventionen

zu halten.

Welche Voraussetzungen sollten junge Menschen, die an

so einem Seminar teilnehmen möchten, mitbringen?

Das klingt banal und pathetisch, aber das Wichtigste,

wasmanmitbringen sollte, ist Liebe zumSchreibenund

Lesen, zuGeschichten, dazu, Sätze zubauenundwieder

auseinanderzunehmen.

Ein ernsthaftes Interesse an Sprache, daran, einen prä-

zisenAusdruck zufinden. Und eine innereDringlichkeit

zu schreiben.

SK

LG

MN

LG

MN

LG

MN

MN

LG

SK

LG

SK

Thema Junge Kunst fördern!