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Ich würde das noch um Kritikfähigkeit ergänzen. Es

kommt vor, dassLeute einSeminar alsBühne zur Selbst-

präsentation nutzen. Sie wollen kein Komma an ihrem

Text ändern.Womit wir bei der altenFragewären, ob es

so etwaswieGenie gibt oder Schreiben lehr- und lernbar

ist.Wennmandavon ausgeht, dassmanwieKafka inder

Nacht erwacht und es fließt einMeisterwerk aus einem

heraus, dann ist eine Schreibschule natürlich nicht das

Richtige.

Ich finde das Wort lernbar schwierig, aber das litera-

rische Schreiben ist auf jeden Fall veränder- und ver-

besserbar, und dabei kann eine Schreibschule helfen.

Es gibt inzwischen ein großes Angebot an Schreibkursen.

Worin sehen Sie die besonderen Qualitäten der Bayeri-

schen Akademie des Schreibens?

Vor allem in der unhierarchischen Art der Textkritik.

Das ist keineswegs überall so. In den Akademiekursen

arbeiten wirklich alle gemeinsam an den Texten. Du

triffst auf ein Dutzend unterschiedliche Leseerfahrun-

gen, undkeinewirdzur einzig richtigenerklärt.Dadurch

verändert und erweitert sich dein Blick auf Texte, du

siehst auf einmal Dinge, die du vorher nicht wahrge-

nommen hast.

Ich habe schon als Schülerin Kurse besucht, z. B. die

von Beate Schäfer über Jahre geleitete Schreibgruppe

für Jugendliche an der Internationalen Jugendbiblio-

thek. Der Einstieg dortwar sehr sanft undwohlwollend.

Vor lauter kreativen Diskussionen blieb oft gar keine

Zeit, die Texte auch sprachlich konzentriert ins Auge

zu nehmen. Die präzise Spracharbeit an der Akademie

war anschließend für mich eine sehr gute Schule, die

mich wahnsinnig geprägt hat. Ich neige dazu, mich in

Sprachspielen zu verlieren und überprüfe seither alle

meine Metaphern.

Was die Akademie für mich besonders auszeichnet, ist

–wie schon gesagt –die Zusammenarbeit vonAutoren

und Lektoren. Und die Intensität der Textarbeit vor al-

lem an den langenWochenenden. Man beschäftigt sich

nur mit Literatur. Wenn man dann den Raum verlässt

unddieMenschen draußen beimEinkaufen sieht, kom-

men sie einem ganz sonderbar vor.

Völlig irreal. Das ist so ein Zauberberg-Gefühl, das in

den Seminaren entsteht. Für mich ist es unmöglich, an

so einemWochenende vor vierUhrmorgens einzuschla-

fen. Ich bin hellwach. Mein Kopf ist voll mit Wörtern

und Texten.

Mit all den Welten, in die man da eintaucht. Mit jeder

Geschichte steigtman ja in eine andereWelt ein.Danach

wieder ins alltägliche Leben hinauszutreten, fällt mir

richtig schwer.

Das ist wie kalter Entzug.

Man taucht in einen total konzentrierten Raum ein.

Besonders intensiv habe ich das bei dem »Nature Wri-

ting«-Seminar empfunden.Wir haben auchAusflüge in

dieNatur gemacht. Vor dir reden sie, hinter dir reden sie,

du versuchst deineOhren zu teilen, um ja nichts zu ver-

passen. All die Eindrücke trägt man danach noch lange

bei sich, und sie beleben das Schreiben.

JedesMal, wenn ich aus einemAkademieseminar kom-

me, denke ich: Ich möchte nichts anderes mehr tun im

Leben außer schreiben und lesen.

Petra Hallmayer arbeitet als freie Journalistin

für die Süddeutsche Zeitung, das Münch­

ner Feuilleton u. a. Sie hat das Interview für

Aviso geführt.

Die Bayerische Akademie des Schreibens

Das Wörterbuch gibt Auskunft: Eine Akademie sei eine

Vereinigung von Gelehrten und Künstlern und Dichtern. Die

Bayerische Akademie des Schreibens vereinigt nur Wort­

künstler. Junge Autor*innen bis 40 Jahre, die es ernst meinen

mit dem Schreiben oder Studierende aus den sieben betei-

ligten Universitäten, die für drei Wochenenden Autor*innen

sind. Man muss sich bewerben, man wird ausgewählt. Die

Seminare der Bayerischen Akademie des Schreibens sind

Förderung, bedeuten Herausforderung und Stärkung, sind

längst zu Räumen einer eigenen Kultur der Auseinandersetzung

über Literatur geworden. Die Seminare bieten, anders als

Schreibschulen in Leipzig, Hildesheim oder Biel, keine geschlos-

sene Ausbildung, kein Diplom, aber eine professionelle

Orientierung beim eigenen Schreiben, die vom Handwerk bis

zu den großen Fragen reichen: Was für eine Autor*in will ich

sein? Die Seminare der Bayerischen Akademie des Schreibens

werden im Rahmen einer Kooperation getragen von der

Stiftung Literaturhaus München unter Leitung von Dr. Katrin

Lange als Geschäftsführerin und dem Literaturarchiv Sulzbach-

Rosenberg sowie den Universitäten Augsburg, Bamberg,

Bayreuth, Erlangen, Regensburg, der LMU und der TU München

sowie dem Bayerischen Staatsministerium für Wissenschaft

und Kunst. Ein hoher Anteil von Teilnehmer*innen an der Bay-

erischen Akademie des Schreibens haben ihre Werke

inzwischen publiziert und wurden dafür ausgezeichnet.

literaturhaus-muenchen.de/akademie

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»Mach das, was der Text will!«

Lena Gorelik, *1981 in Sankt Petersburg, veröffentlichte

zahlreiche belletristische und wissenschaftliche Texte,

zuletzt 2017 den All-Age-Roman

Mehr Schwarz als Lila

und

wurde vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Bayerischen

Kunstförderpreis und dem Arbeitsstipendium des Freistaats

Bayern. Sie lehrt in der Akademie des Schreibens.

Sophia Klink, *1993 in München, studiert seit 2012 Biologie

an der LMU München und arbeitet inzwischen an ihrer

Promotion. 2014 nahm sie an einem Seminar für Studierende

der Bayerischen Akademie des Schreibens teil, 2019 am

Seminar »Nature Writing« der Akademie.

Manuel Niedermeier, *1984 in Regensburg, hat vergleichende

Sprach- und Literaturwissenschaften in Regensburg und

Wien studiert. 2012 war er Stipendiat der Bayerischen Aka­

demie des Schreibens, wo er inzwischen auch lehrt.

Für den Roman

Durch frühen Morgennebel

hat er den Bay­

erischen Kunstförderpreis erhalten.