Maximilian Dorner wurde 1973 in München geboren, wo er auch lebt.
Er studierte als Stipendiat der Studienstiftung an der Bayerischen
Theaterakademie Dramaturgie. Er arbeitete als Literaturlektor, Opern-
regisseur und seit 2015 im Bereich »Kunst und Inklusion«. Darüber
hinaus hat Maximilian Dorner neun Bücher veröffentlicht. Für seinen
Debütroman
Der erste Sommer
über die unmittelbare Nachkriegszeit
in München 1945 erhielt er 2007 den Bayerischen Kunstförderpreis.
maxdorner.deNoa Beinart stammt aus Israel und absolvierte ihr Gesangsstudium
an der Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin. Dort sammelte sie
erste Bühnenerfahrungen mit Partien wie
Amastre
aus der Oper
Serse
von Georg Friedrich Händel und
Annina
aus der Oper
Der Rosen-
kavalier
von Richard Strauss. Nach Meisterkursen u. a. bei Brigitte
Fassbaender gewann sie 2017 den Trude Eipperle Rieger-Preis und trat
mit dem Brandenburgischen Staatsorchester Frankfurt an der
Oder als Teufelin in Siegfried Matthus’
Luthers Träume
auf. Seit der
Spielzeit 2018/19 ist sie Mitglied des Opernstudios der Bayerischen
Staatsoper.
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Nicht zu singen kommt nicht in Frage
diese nur gedämpft hören wird. Sie muss ihm vertrauen, und
sich. Und darauf, dass ihre Stimmbänder, diese winzigen Mus-
keln imKehlkopf, funktionieren, wie sie es tausendmal trainiert
hat. Und all das imWissen, dass im Zuschauerraum über zwei-
tausendMenschen sitzen werden, die sich eine Spitzenleistung
erwarten. Manche einfach nur, weil sie dafür viel Geld gezahlt
haben. Andere, weil sie die Musik lieben. Sie alle eint, dass sie
hinausgehenwollen imGefühl, etwas Einzigartiges erlebt zu ha-
ben. Ganz zu schweigen von den Erwartungen der Bayerischen
Staatsoper, dass sie mit ihr die richtige Sängerin ausgewählt
hat... Recht viele Erwartungen schwirren da durch den Raum,
noch bevor der erste Ton erklingt. All dem muss Noa gerecht
werden.
Wahrscheinlich spüren nun alle, dass es ein paar Takte
Musik bedarf. Der Korrepetitor blättert in seinen Noten, Noa
faltet ihre Hände – und singt die wunderbar verzauberte Me-
lodie, mit der die Stimme aus dem Grab Antonia zum Singen
verführen möchte. Sie singt mit einer wunderbar dunklen, vol-
len Stimme, die hinauswill auf die Bühne. Sie kann ihr getrost
vertrauen, und ich glaube ihr ohne jeden Zweifelsfunken, dass
sie vor der Größe des Nationaltheaters keine Angst hat. Denn
ich bin mir sicher, dass sie hier oder anderenorts noch sehr oft
zu hören sein wird.
Amnächsten Tag stehe ich pünktlich zumEnde der ersten
Pause von
Hoffmanns Erzählungen
wieder vor dem Künstler-
eingang. Die Pressedame begleitet mich auf verschlungenen
Wegen hinter die Bühne. Bald ist Noa dran, und darauf möchte
ich vor Ort warten. (Sie wollte nicht, dass ich ihr beimEinsingen
zuhöre. Dabei hätten mir sogar Dreiklänge aus ihrem Mund
gefallen...)
Zum ersten Klingeln stehe ich am Inspizientenpult. Hin-
ter den Kulissen bekommt man ambestenmit, wie viel Schweiß
die Schwerelosigkeit kostet. Auf demBildschirm sieht man, wie
sich das Publikumden Zuschauerraumzurückerobert. Aus dem
Orchestergraben dringen Tonfetzen einer einsamen Klarinette.
Die Sängerin der Antonia im weißen Kleid nimmt noch einen
Schluck Wasser und verschwindet sich bekreuzigend in den
Kulissen. Requisiteure bringen sicherheitshalber einen zweiten,
riesigen Schlüssel für ein nicht existierendes Schloss. Es könnte
ja sein, dass der erste endgültig zerbricht. Imersten Akt zitterte
er schon bedenklich. Die Inspizientin nickt und flüstert etwas
in ihrWalkietalkie. Hinter mir scherzen zwei geschminkte Bäs-
se mit dröhnenden Stimmen. Diese Stimmung achtsamer Un-
aufmerksamkeit nimmt mich vollkommen gefangen. Dass hier
jeder weiß, was angemessen ist und was nicht. Dieses ständige
Kommen und Gehen. Mit einem halben Ohr Zuhören. Völlig
unbeeindruckt von demGewusel um sich herum taucht aus dem
Dunkel ein Techniker auf. In der einen Hand trägt er ein spa
ghettilanges Kabel. Er kniet sich auf den Boden, zwischen Inspi-
zientenpult und Kulisse, nur drei Meter neben der Sopranistin,
die sich inzwischen die Seele aus demLeib singt. Die beiden Bäs-
se lauschen ehrfürchtig mit gefalteten Händen... – Was ist die
Oper doch für ein wunderbarer Traum! Nicht nur, dass auf und
hinter der Bühne völlig verschiedene Menschen und Sprachen
undKulturen zusammenkommen, nein, sie werkeln, schrauben,
flüstern, spielen gemeinsaman einer Sache. Und jeder weiß, dass
es auf sie alle ankommt. Nur gemeinsamwird es gelingen. Oper
ist ein Abbild der überbordenden Vielfalt der Welt.
Diese ganz wunderbar einzigartige Stimmung aus Anspannung
und Beiläufigkeit während einer Aufführung wirkt elektrisie-
rend. Und erklärt und rechtfertigt diese wochenlange Schinde-
rei vor jeder Premiere. Und die vielen Jahre des Übens, denen
sich alle Mitglieder des Opernstudios verschrieben haben.
Der Zauber ist da, und ich verstehe, warum alle das auf
sich nehmen, diese Proberei, all das Mühen und Ringen und
Scheitern. Und das lebenslange Üben. Sich das Singen verbieten
zu lassen, kommt da natürlich nicht in Frage...
Auf einmal steht Noa Beinart nebenmir, ganz in Schwarz
gekleidet. Sie nickt mir zu, macht ein paar Dehnübungen und
steigt schließlich auf einwinziges Podest, umdurch das Bild von
Antonias Mutter zu singen.
Das alles ist eine Kraftanstrengung, aber eine, die trägt.
Ich muss daran denken, wie der Leiter des Opernstudios das
amTag zuvor gesagt hat. Dass man sich dem anvertrauenmuss,
diesem Strom, der die Kunst und die Oper und das Leben ist...
Und dann wirft sich Noa Beinart in diesen Fluss und singt.
Das Opernstudio der Bayerischen Staatsoper
Mit Beginn der Spielzeit 2006/07 hat die Bayerische Staatsoper
ein neues Opernstudio gegründet, das hochtalentierte junge Sänger*-
innen fördert und sie praxisbezogen auf eine Karriere als Opern
sänger*innen vorbereitet. Auch unter der Intendanz von Nikolaus
Bachler nimmt diese Nachwuchsförderung einen wichtigen Platz
in der Arbeit der Bayerischen Staatsoper ein. Unter der Leitung von
Tobias Truniger erstreckt sich die Ausbildung über ein bis zwei
Spielzeiten und beinhaltet Rollenstudium, Gesangsunterricht, Schau-
spiel- und Bewegungstraining sowie Sprachunterricht. Die jungen
Sänger*innen übernehmen kleinere Partien in den Produktionen der
Bayerischen Staatsoper und wirken bei einer Vielzahl von Konzer-
ten und Liederabenden mit, die sie zusammen mit den Pianisten des
Opernstudios, Ewa Danilewska und Michael Pandya, gestalten.
Probenbesuche sowie Workshops und Gespräche mit Sängern,
Dirigenten und Mitarbeiter*innen aus verschiedenen Bereichen der
Staatsoper runden die Ausbildung ab.