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s ist der 30. Juli, einDienstag. DieBalkontür steht offen. Der

Wald glänzt noch vom letzten Schauer. In derWand raschelt der

Siebenschläfer. Jetzt scheint die Sonne, aber inder Ferne donnert

es. Ich könnte nach draußen gehen. Aber auf demSchirmmeines

Notebooks ist das Leben weit und groß: Es wird mir

das Blaue

vomHimmel

versprochen,

KadidjaWedekind

kann ihren 108. Ge-

burtstag nicht mehr feiern, in Schrobenhausen lesen Friederike

Kretzen, JudithKuckart,NorbertNiemann, Künstler undSchrift-

steller im Alpenvorland haben ein ganzes Dossier bekommen,

im Journal gibt es Interviews, Informationen über Preise und all

sowas. Ich bin auf den Seiten des

Literaturportal Bayerns

unter-

wegs. ImNetz. In einer Welt in der Welt, in der sich alles um die

Literatur dreht. Der vondamals undder vonheute. Das Literatur-

portal ist das Zuhause der großen Literaturlandschaft Bayerns,

mit allem, was sie prägt: toten und lebendigen Autoren, Orten,

Verlagen, die sie besiedeln, beherbergen, behausen, oder die sie

beschrieben haben, Hinweise auf Veranstaltungen und Wettbe-

werbe. Es ist eineBibliothek, eineZeitschrift, eineZeitung, einLe-

xikon und eine Art Schwarzes Brett. Alles gleichzeitig. Man kann

hier nichts kaufen. Hier gibt es nur Wörter und Bilder. Aber es

ist ein unerschöpfliches Kompendium von Informationen. Jeden

Tag kommen neue dazu. Deshalb ist es immer neu zu lesen, und

immer anders, ganz abhängig davon, wofür ichmich interessiere,

ich kannmit jedemKlick einen neuenWeg einschlagen, ichmuss

nie dorthinkommen, wo ich schon einmal war, aber ichkann.Weil

alles mit allemverlinkt, vernetzt, verbunden ist. Alle Inhalte sind

nur online verfügbar. Es ist nicht aus Papier.

Ich selbst bin wirklich, ein Mensch, ein Körper, Schriftstellerin.

Auch ich komme darin vor. Als Information, in Interviews, Tex-

ten. In Wirklichkeit lebe ich für gewöhnlich in München, aber

mitunter auch amRande des BayerischenWalds, nahe Straubing,

unfernvonRegensburg.Hier sitze ichheute aneinemSchreibtisch

aus Eichenholz, er stammt von meiner Großmutter. Ich schaue

ins Grüne. Ich schaue auf die Eiche, die Kiefern, die Buchen, die

Eschen, den Hasel, weit hinten den Holunder. Ich schaue den

Waldhinauf undwieder zurück auf denBildschirm. Ichwar schon

häufig auf denSeitendes Literaturportals, aber nochniemals habe

ich

Literaturland

geklickt. Ich klicke

Karte.

Die

Karte

Bayerns ist

voller Zeichen, voller Buchstaben und Symbole. Zuerst erken-

ne ich nichts. Dabei ist es eine ganze Landschaft. Ich suche die

Gegend, in der ich mich gerade befinde. Ich wähle

Niederbayern

.

Eine weitläufige Karte öffnet sich. Farbig und strukturiert. Ich

kann Bezirke erkennen und suche meinen.

Straubing-Bogen.

Da

bin ich. Ich möchte gleichzeitig da sein, wo ich gerade sitze und

da, wo ich gerade suche. Ich möchte im Netz meiner Wirklich-

keit herumgehen. Ein Doppelleben führen, zwischen Bäumen

inmitten von Texten sein, die mich hier betreffen. So habe ich es

mir gedacht: Den Ort, an dem ich mich gerade befinde, anfüllen,

auffüllenmit dem, was ich gerade tue. Schreiben. Das Literturpor-

tal Bayern ist mein natürliches Umfeld. Ich lebe in Wörtern. Ich

scrolle mich durch

Regierungsbezirke,

ich klicke

Straubing

. Nicht

weit davon entfernt führe ichmeinTeilzeitleben und kennemich

literarisch kein bisschen aus. Da sitze ich im Wald. Da bin ich.

Gäubodengeschichten

steht über dem Artikel. Ich sehe Autoren-

ImWald

Ein Spaziergang

durch das

Literaturportal

Bayern

E

Text: Sandra Hoffmann

Illustration: Isabell Schmiedebach

Thema Kultur digital